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Konstruktionen von ethnischer Zugehörigkeit und Loyalität 163
einer zumeist sprachlich und damit ethnisch homogenen Umgebung. Keine Rück-
sicht wurde darauf genommen, wenn der Soldat einer anderen Sprache zugeordnet
werden wollte. In den Selbstzeugnissen findet sich etwa der Wunsch, während der
Dienstzeit Deutsch zu lernen. Dies war nur möglich, wenn sich der Soldat zu einer
Spezialeinheit, wie etwa der Festungsartillerie, meldete, die ethnisch gemischt war
und in der daher häufig Deutsch die Soldatensprache war. Interessanterweise fin-
den sich in den Dokumenten der Militärführung keinerlei Hinweise darauf, dass
man diese Möglichkeit in Betracht gezogen hätte beziehungsweise dies als Chance
gesehen hätte, die Soldaten in der Mehrsprachigkeit zu unterstützen. Hier wurde –
wie von zeitgenössischen Nationalisten gefordert – die Einsprachigkeit zementiert.
Es findet sich auch kein Hinweis, dass mehrsprachige Soldaten gefragt wurden, in
welche Einheit sie eingeteilt werden möchten. Dieses Prozedere dürfte allerdings
in der Öffentlichkeit bekannt gewesen sein, weshalb der Einzelne wohl schon bei
der Stellung auf die bevorzugte Sprache hingewiesen haben wird. Das heißt aber
noch lange nicht, dass bei der Interpretation der im Grundbuchblatt genannten
Sprachen für die Angabe der Nationalitäten in der offiziellen Militärstatistik darauf
Rücksicht genommen wurde (s. mehr dazu weiter unten). Literarisch wurde dieser
Moment von Józef Wittlin in Salz der Erde aufgegriffen. Seinen mehrsprachigen
Protagonisten, den Huzulen Peter Niewiadomski, lässt er bei der Musterung fol-
gende Überlegungen anstellen:
Jeder durfte in seiner Sprache den Schwur leisten, die militärische Liturgie zwang nämlich
nicht ihr Kirchenlatein (d.h. die deutsche Sprache) denen auf, die es nicht verstanden. Nur
das Kommando mußte in der k.u.k. Armee deutsch sein. […] Zuerst schwor die deutsche
Gruppe, dann die ukrainische, zuletzt die polnische. Peter Niewiadomski gesellte sich zur
polnischen Gruppe.20
Die Praxis der Sprachangaben wirkte sich allerdings nicht nur auf den einzelnen
Soldaten und das Umfeld seines militärischen Dienstes aus. Diesem zeitgeistigen
Grundgedanken, dass die Sprache gleichbedeutend mit der nationalen Zugehörig-
keit sei, folgte auch die jährlich herausgegebene Publikation der Armeeführung:
die Militär-Statistischen Jahrbücher. Sie basierten auf den Angaben zu den gespro-
chenen und geschriebenen Sprachkenntnissen der Soldaten in den Grundbuch-
blättern. Die Rubriken der Zugehörigkeiten unterlagen allerdings kleineren Ver-
änderungen. 1873 finden sich die folgenden »Nationalitäten«: Deutsche, Magyaren,
Tschechen/Mährer/Slovaken, Polen, Ruthenen, Slovenen, Kroaten, Serben (mit
Slavoniern und Dalmatinern), Bulgaren, Rumänen, Italiener. Im Jahrbuch 1884
finden sich Deutsche, Magyaren, Tschechen/Mährer, Slovaken, Polen, Ruthenen,
Slovenen, Kroaten und Serben, Bulgaren, Rumänen, Italiener. Die Ausgabe von
1885 folgt hingegen wieder den Rubriken aus den 1870er Jahren, und die Ausgabe
von 1893 beispielsweise wieder jener aus 1884.21 Eine Tabelle zur sprachlichen Zu-
20 | Wittlin, Joseph: Das Salz der Erde [1937]. Übers. v. Dr. I. Bermann. Frankfurt a.M.:
Fischer 1969, S. 101.
21 | Vgl. Militär-Statistisches Jahrbuch 1873 passim.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur