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Ein Migrant par excellence 181
Herr Statthalter: »Ja, Herr Franko, Ihr Doktorat und Ihre Habilitation, das ist alles sehr schön,
aber wie kann ich zulassen, daß Sie aus einem Mitredakteur des ›Kurjer Lwowski‹ plötzlich
ein Universitätsprofessor werden?« Zur Erklärung dieser sonderbaren Frage sei hier gesagt,
daß ich damals seit etlichen Jahren Mitarbeiter des demokratischen und oppositionellen
polnischen Blattes ›Kurjer Lwowski‹ war, welches gegen das vom Grafen Badeni protegierte
Korruptions- und Depravationssystem oft eine scharfe Sprache führte und ihm persönlich
sehr unangenehm war.
Ich: »Exzellenz, ich beanspruche die veniam legendi nicht als Mitarbeiter des ›Kurjer Lwow-
ski‹, sondern auf Grund meiner wissenschaftlichen Arbeit. Ich teile die politischen Prinzipien
des ›Kurjer Lwowski‹ und bin darum sein Mitarbeiter, möchte aber vom politischen Kampfe
mich zurückziehen und alle meine Kräfte der wissenschaftlichen Arbeit widmen und wünsche
darum die Privatdozentur an der Universität zu erlangen.«
Herr Statthalter: »Sie haben eine Frau aus Rußland geheiratet.«
Ich: »Ja.«
Herr Statthalter: »Sie hat Ihnen einiges Geld eingebracht.«
Ich: »Ja, Exzellenz, zirka 3000 Rubel, gerade genug, um im Notfalle nicht sogleich Hungers
zu sterben.«
Herr Statthalter: »Sie haben vier Kinder, welche bisher nicht getauft worden sind.«
Ich: »Ja, Exzellenz.«
Herr Statthalter: »Na, sehen Sie, ich bin gut informiert. Ich werde schon sehen, was ich für
Sie machen kann. Nur wissen Sie, Ihre agitatorische Tätigkeit müssen Sie einstweilen ein-
stellen. Also auf Wiedersehen, Herr Franko.«21
Sein zweites Gespräch, dessen markanteste beziehungsweise pikanteste Stellen
von Franko wiederum im Wortlaut zitiert werden, fand später statt. Es war eine
Audienz beim damaligen Vizepräsidenten des galizischen Landesschulrates
Bobrzyński.
»Übrigens wissen wir, daß Sie auf dem Kommers nach der Feier [anlässlich der 25-jährigen
Tätigkeit des ukrainischen Historikers, Denkers und Politikers Machyjlo Drahomanov – Anm.
d. Verf.] eine markant politische Rede gehalten haben.«
Ich lächelte etwas verlegen. Der Kommers war eine ganz und gar private Veranstaltung und
die Rede, welche ich dabei hielt, war ein historischer Rückblick auf die geistige Entwicklung
der galizischen Ruthenen unter dem Einflusse der Ideen und Schriften Drahomanovs. Herr
Vizepräsident wollte mir durch diese Bemerkung offenbar bedeuten, daß die Statthalterei
auch über meine privaten Gespräche sehr gut informiert ist und daß er, ein Universitätspro-
fessor von Fach, es nicht unter seiner Würde hielt, Polizeirapporte über solche Sachen zum
Maßstabe meiner Qualifikation für eine Dozentur zu machen. Ich konnte dem Herrn Vizeprä-
sidenten auf dieses Feld nicht folgen und ließ seine Bemerkung unerwidert.22
Ein letztes Mal wird in diesem Zusammenhang ein galizischer Parlamentsabge-
ordneter zitiert:
21 | Franko, Ivan: Meine Habilitation. In: ders.: Beiträge zur Geschichte und Kultur der Uk-
raine, S. 68-71, hier S. 69f.
22 | Ebd., S. 70f.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur