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»Die Dinge reden im Lichte eine andere Sprache als im Dunkeln.« 193
einander. Nach der deutschen Besetzung 1940 floh sie nach Südfrankreich und
wurde im Lager Gurs interniert. Im selben Jahr konnte sie nach Mexiko emigrie-
ren. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie zurück und lebte und praktizierte in
Wien. Marie Frischauf-Pappenheim starb 1966.
Die von uns untersuchten Autorinnen wanderten durch unterschiedliche soziale
Welten und wurden durch unterschiedliche kulturelle Aspekte geprägt. Infolge-
dessen wird die Kollektivbezeichnung »Deutsche« beziehungsweise »Ungarndeut-
sche« abgelehnt und die Bezeichnung »deutschschreibende« beziehungsweise
»deutschsprachige« Autorinnen verwendet. Mehrsprachigkeit, die in den bürger-
lichen Familien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und um 1900 oft ge-
zielt gepflegt wurde, war einer der gemeinsamen Züge der deutschschreibenden
Autorinnen aus dem Gebiet der heutigen Slovakei. Im Vielvölkerstaat Österreich-
Ungarn waren nämlich die meisten Angehörigen der Mittelschicht, speziell wenn
sie einen intellektuellen Beruf ausübten und einem der nichtmagyarischen Völker
angehörten, multilingual.
Die Mehrsprachigkeit machte den Autorinnen den Anschluss an das gesamt-
europäische Kulturgut und -geschehen leicht. Sie konnten ihre Beiträge in öster-
reichischen oder deutschen Zeitungen und Zeitschriften publizieren, sich an
deutschsprachige Verlage wenden, in lokalen deutschsprachigen Blättern ver-
öffentlichen oder ihr Werk auch in einer der regionalen Sprachvarietäten für ein
lokales Publikum abfassen. Der Einfallsreichtum der Autorinnen beim Erobern
literarischer Terrains überrascht bis heute.
1. idenTiTäT als auTorin
Die Zeit der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn ist mit umfassenden ökonomi-
schen, politischen, sozialen und kulturellen Umbrüchen der Moderne verbunden.
Die Moderne brachte einerseits Flexibilität und Fortschrittseuphorie, andererseits
auch tiefgreifende Ängste mit sich und führte zur »Erosion vorgefertigter Iden-
titätsmuster« und »Infragestellung bisheriger Gewissheiten«.9 Modernisierungs-
prozesse wie Industrialisierung, Technisierung, Urbanisierung und Demokrati-
sierung führten zu Emanzipationsprozessen breiter gesellschaftlicher Gruppen
und zu einem Erstarken bürgerlicher Werte und Normvorstellungen. Auch die
Kategorie »Geschlecht« und damit die Stellung der Frau erfuhren um 1900 eine
gravierende Umdeutung. Durch einflussreiche philosophische, v.a. aber psycho-
analytische und sexualwissenschaftliche Theorien wurde die Minderwertigkeit
der Frau zum Gegenteil der »Vollwertigkeit« und »Subjekthaftigkeit« des Mannes.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Frauenbild von zwei unter-
schiedlichen Konzepten beeinflusst: der »Differenz« und der »Gleichheit«. Das
ältere Konzept der »Differenz«, in der Fachliteratur auch das dualistische Modell
9 | Vgl. Rabelhofer, Bettina/Fraisl, Bettina/Zettelbauer, Heidrun: Der weibliche Körper als
Ort von Identitätskonstruktionen in der Moderne. In: Csáky Moritz/Kury, Astrid/Tragat-
sching, Ulrich (Hg.): Kultur – Identität – Differenz. Wien und Zentraleuropa in der Moderne.
Innsbruck u.a.: Studien-Verlag 2004, S. 255-290, hier S. 255.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur