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»Die Dinge reden im Lichte eine andere Sprache als im Dunkeln.« 199
terodiegetische Erzählinstanz mit Nullfokalisierung, wobei die meisten Erzählun-
gen einfach und chronologisch aufgebaut sind. Die psychologische Motivation der
Figuren ist kaum nachvollziehbar. Doch beeinflusst von den programmatischen
Erwägungen des Naturalismus, wird Katschers relativ einfache, chronologische Er-
zählweise durch beeindruckende Naturschilderungen und Naturbilder bereichert,
in denen auch die Lebenswirklichkeit der bürgerlichen Frau und Geschlechterbe-
ziehungen reflektiert werden.
Ich liebe das Meer nicht, wenn es so unheimlich ruhig ist, es verleugnet seine ureigenste Na-
tur und erinnert mich an Menschen mit einem harmonischen Äußern und einem vulkanischen
Innern. In einer Stunde kann diese spiegelglatte Fläche sich in ein brüllendes, heulendes,
nimmersattes Ungeheuer verwandeln, – man weiß nicht weshalb und warum. – Das Meer ist
so unbeständig, so treulos wie das männliche Geschlecht. – Wir Frauen sind die schwanken
[sic!] Fahrzeuge, die sich ihm aus Gnade und Ungnade ergeben.32
Als Denkerin und Theoretikerin gehörte Katscher zu den engen Mitarbeiterinnen
von Bertha von Suttner und arbeitete an der Zeitschrift Die Waffen nieder! mit. Ihre
Artikel und Essays zeichnen sich durch relativ fortschrittliche Inhalte aus und fol-
gen in Aufbau und in Argumentation klassischen rhetorischen Mustern. Katscher
engagierte sich in Fragen der Friedensbewegung und des Kinderschutzes. Ihre li-
terarische Produktion dient meistens auch ganz banal dem Gelderwerb, was um
1900 nicht sehr überrascht.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte Ungarn, darunter auch die
heutige Slovakei (Oberungarn), relativ große Umwälzungen durch. Dies umfasste
die Transformation von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft und vom
Agrar- zum Agrar-Industrie-Staat. Wie Budapest wurde auch Preßburg industriali-
siert und erhielt mit Fabrikanlagen im Bereich der Chemie, Elektronik und Optik
neue Industriebranchen. Allerdings blieb die Errichtung großzügiger Industriali-
sierungsmaßnahmen in erster Linie auf den westlichen Teil der Donaumonarchie
beschränkt, weshalb Budapest und seine Umgebung nicht davon betroffen waren.
Kritisch war die Situation in der Zips und in den nordöstlichen Gebieten Trans-
leithaniens.
Durch die demografische Entwicklung kam es zu einer Überzahl an Frauen
im bürgerlichen Milieu, sodass man nicht mehr auf die Versorgung aller Mädchen
durch Heirat hoffen konnte. »Überflüssige« unverheiratete Frauen wurden somit
zu einem sozialen Problem, dessen Lösung man durch strukturelle Unterstützung
der Mädchenbildung und Frauenbeschäftigung anstrebte. Dies führte zu manchen
legislativen Veränderungen, wie die Aufhebung der Unterhaltspflicht für Eltern
gegenüber volljährigen Kindern, wodurch es nun auch für Frauen vermehrt not-
wendig wurde, einer bezahlten Arbeit nachzugehen.33 Erwerbsfähigen Frauen
wurde 1877 erlaubt, über ihr Einkommen selbst zu verfügen. Machtbefugnisse
32 | Katscher, Berta: Die Studentin. Original-Erzählung. Wien: Fischer’s Interessante Biblio-
thek »Für Alle Welt« [o.J.], S. 29.
33 | Vgl. Dudeková, Gabriela/Lengyelová, Tünde: Premeny právneho postavenia žien [Wan-
del der rechtlichen Stellung von Frauen]. In: Dudeková, Gabriela u.a. (Hg.): Na ceste k mo-
dernej žene. Kapitoly z rodových vzťahov na Slovensku. Bratislava: Veda 2011, S. 293-314,
hier S. 306.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur