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Ingrid Puchalová
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dass diese Texte aus einer zurückliegenden Epoche allein durch ihren zeitlichen
und räumlichen Abstand zur Gegenwart in inhaltlicher, formaler und sprachlicher
Hinsicht einigermaßen fremd geworden sind.
Im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn waren die meisten Angehörigen der Mit-
telschicht, speziell wenn sie einen intellektuellen Beruf ausübten und einem der
nichtmagyarischen Völker angehörten, multilingual. Die durch gesellschaftliche
Umstände bedingte Mehrsprachigkeit und Multikulturalität waren den deutschen,
jüdischen und slovakischen Bevölkerungsgruppen eigen. Sie bezeichneten sich als
Preßburger, Zipser oder Hauerländer. Der österreichische Kulturhistoriker Moritz
Csáky stellt fest: »Eindeutige ethnische und sprachliche Identifikationen waren bis
in die Zeit nach 1900 in der Realität des Alltags kaum von Bedeutung, der primä-
re Identifikator war einfach die Zugehörigkeit zum Ort, zur Stadt.«46 Dies könnte
einer der Gründe dafür sein, warum sich die deutschschreibenden Autorinnen mit
dem Thema der kulturellen Identität in ihrer schriftstellerischen Produktion kaum
auseinandersetzten.
Zwar vermitteln z.B. Katschers Texte auch einen Einblick in das gesellschaft-
liche Leben des multiethnischen Staates um die Jahrhundertwende, aber von einer
Auseinandersetzung mit dem Thema der trans- beziehungsweise multikulturellen
Identität lässt sich nur schwerlich sprechen. Katscher spielt in ihren Texten auf na-
tionale Stereotypen an. Ironischerweise verleihen diese Anspielungen ihren Texten
nur bedingt eine gewisse Tiefe. So spricht die Ich-Erzählerin in der Erzählung Her-
zensschläge von ihrer Bediensteten Katiza als von einer »bildhübschen, anstelligen
Dirne« ungarischer Herkunft, die »wie die meisten Ungarinnen früh entwickelt
war«47 und in der oben genannten Humoreske Er bleibt ein Hagestolz charakterisiert
die Autorin die polnische Sängerin wie folgt: »Ihr längliches hübsch geformtes Ge-
sicht erfreute sich jenes zarten Teints, der die Polinnen auszuzeichnen pflegt.«48
Katscher baut an diesen stereotypen Konstruktionen allerdings nicht weiter. Sie il-
lustriert sie nicht, reflektiert sie nicht, kommentiert sie nicht, hinterfragt sie nicht.
Ihre zahlreichen Texte erweisen sich auch nicht als subtiles Spiel mit bekannten
Stereotypen, durch das die vermeintlich bekannten Eigenschaften in Frage gestellt
oder dekonstruiert werden könnten.
Die nationale oder ethnische Zugehörigkeit scheint auch für Elsa Grailich kaum
ein Thema zu sein, ihre Zugehörigkeit zu Preßburg ist aber kaum zu übersehen.
Immer mehr schwindet das Bild unseres alten Preßburgs dahin. Zum Teil ist es die Baufällig-
keit der alten Gebäude, zum Teil auch die unaufhaltsame moderne Entwicklung der Stadt, die
diese tief einschneidende Veränderung unseres Straßenbildes mit sich bringen und unsere
vor zwanzig-dreißig Jahren verstorbenen Altvorderen würden sich kaum mehr in den Straßen
zurechtfinden […].49
46 | Csáky, Moritz: Das Gedächtnis der Städte. Kulturelle Verflechtungen – Wien und die
urbanen Milieus in Zentraleuropa. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2010, S. 305.
47 | Katscher, Berta: Herzensschläge. In: dies. u.a.: Aus jungen Ehen. Humoristische Erzäh-
lungen. Wien: Oesterreichisch-Ungarisches Verlagshaus [1890], S. 3-16, hier S. 5.
48 | Ungar: Er bleibt ein Hagestolz, S. 35.
49 | Grailich, Elsa: Preßburger Interieurs. Bratislava-Preßburg: Steiner 1929, S. 5.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur