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Alterität, Gender, Transdifferenz und Hybridität in Juliane Dérys Leben und Werk 233
enthalten.32 Ihr früherer schauspielerischer Ehrgeiz33 entfaltete sich zur Ambition,
sich als Dramatikerin einen Namen auf deutschsprachigen Bühnen und vielleicht
auch darüber hinaus zu machen. Dies gelang ihr nur in sehr beschränktem Aus-
maß. In einem Brief an Frankl schrieb sie, dass sie nicht nach Wien zurückkehren
möchte, weil sie sich schäme.34 Dennoch überraschte die literarische Öffentlichkeit
die Nachricht, dass Déry am Karfreitag, den 31. März 1899, durch einen Sturz vom
Balkon ihrer sich im dritten Stock befindlichen Berliner Wohnung ihrem jungen
Leben ein Ende gesetzt hatte.35 Die Reaktionen auf Dérys Tod lassen, trotz der vor-
hin aufgezählten Erfolge, Schlüsse auf ihre Position als Außenseiterin zu, als die
»Andere«, in der sich ihr allen binären Zuweisungen widerstrebendes Wesen nicht
behaupten konnte.
3. die déry-rezepTion und -perzepTion
Dem dominanten Ton in der Rezeption dieser Schriftstellerin ist zu entnehmen,
dass ihr Leben und ihre Identität sich entlang einer Reihe von transdifferenten
Selbstpositionierungen bewegten und sie deshalb aufgrund binärer Identitätszu-
schreibungen unter Spannungen gelitten haben muss. Franzos zitiert eine in die-
sem Sinne geäußerte Aussage Dérys in Bezug auf ihre ersten Begegnung: »Was
bin ich, Jüdin oder Katholikin, Ungarin oder Deutsche? Und was soll ich werden,
Schauspielerin oder Schriftstellerin? Aber nein, ich bin ja die Tochter eines ehr-
baren Hauses und will nichts, als ein ruhiges Glück an der Seite eines geliebten
Mannes. Soll ich Alles sein lassen und heiraten?«36 Nach Klaus Lösch ist Transdif-
ferenz durch »das Widerspenstige, das sich gegen die Einordnung in die Polarität
binärer Differenzen sperrt«,37 gekennzeichnet. Dieses »Widerspenstige« lässt sich
nicht nur an Dérys bewegter Lebensweise ablesen, sondern es gilt ebenfalls für ihr
Schreiben. Trotz verschiedener – v.a. naturalistischer – Einflüsse (weswegen sie
manchmal der Epigonenhaftigkeit bezichtigt wurde) dekonstruiert Déry in ihren
Werken mit Vorliebe soziale Hierarchien und, im Sinne der erwachenden Frauen-
32 | Vgl. ebd.
33 | In ihren Münchner Jahren war Déry in Max Halbes experimentellem, vom Naturalis-
mus beeinflusstem Intimen Theater involviert. Vgl. Halbe, Max: Intimes Theater. In: Pan 1-2
(1895), S. 106-109; Hegeler, Wilhelm: Intimes Theater. In: Neue Deutsche Rundschau 6
(1895), S. 724-727. Die erste Aufführung von August Strindbergs Gläubiger fand in Dérys
Salon statt, und sie spielte selbst mit.
34 | Vgl. Déry, Juliane: Brief vom 2.2.1893 aus Berlin.
35 | Am häufigsten wird als Grund für Dérys Selbstmord die Auflösung ihrer Verlobung
mit einem norwegischen Architekten angeführt. Dies schien ein akzeptabler Grund für den
Selbstmord einer Frau zu sein. Unzufriedenheit mit ihrer Karriere wäre kein akzeptabler
Grund gewesen. Heike Schmid kommentiert zu Recht: »Was bei männlichen Autoren Zeichen
außergewöhnlicher Genialität zu sein scheint (man denke z.B. an Kleist), wird hier zum per-
sönlichen Unvermögen umgedeutet.« Schmid: Gefallene Engel, S. 130.
36 | Franzos: Juliane Déry, S. 52.
37 | Lösch, Klaus: Begriff und Phänomen der Transdifferenz: Zur Infragestellung binärer Dif-
ferenzkonstrukte. In: www.wsp-kultur.uni-bremen.de/summerschool/download%20ss%2 02
006/K.%20L%F6sch%20Transdifferenz.pdf, S. 23 (zuletzt eingesehen am 26.5.2015).
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur