Page - 236 - in Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Image of the Page - 236 -
Text of the Page - 236 -
Agatha
Schwartz236
te ich meine Kindheit und dichtete in meiner Muttersprache.«57 Gleichzeitig war
sie transdifferent, indem sie sich als zur deutschsprachigen Literatur gehöriges,
kreatives weibliches Subjekt gegen die Einengung durch exotisierende stereotype
Ungarn-Vorstellungen wehrte und ihrer Auflehnung gegen die tief verwurzelten
Gender- und Klassenungleichheiten in ihren Werken Ausdruck verschaffte. Letz-
teres finden wir in ihren Novellen wie etwa Meine Braut, Variatio delectat (1888),58
Die Einwilligung, Am Kreuzweg, aber auch in ihren Dramen: in dem heute einzig
einigermaßen bekannten und untersuchten Werk Dérys, D’Schand, sowie in wei-
teren Stücken, etwa der Komödie Die sieben mageren Kühe oder dem Einakter Es
fiel ein Reif.59 Für diese ist immer noch gültig, was bereits Ernst Brausewetter noch
zu Dérys Lebzeiten als »die Empörung des Weibes oder richtiger des jungen Mäd-
chens über die Gefühlsvergewaltigung ihres Geschlechtes, über die Männer und
die Gesellschaftszustände«60 oder in Ungarn Béla Zolnai bezüglich der Generation
der ungarischen Moderne in ihrer Zeitschrift Nyugat postum als die »Schwäche
der Männer, denen die Welt gehört«,61 genannt haben. Neben diesen immer noch
aktuellen Themen sind in Dérys Werken andere, höchstaktuelle Themen wie Hyb-
ridität, Alterität und Transdifferenz bislang völlig unbeachtet geblieben.
4. hybridiTäT, alTeriTäT, gender und Transdifferenz
in dérys werKen
Im genderkritischen Einakter Es fiel ein Reif (1896) thematisiert Déry, wiewohl nur
am Rande, auch die kulturelle Hybridisierung.62 Durch Frau Teste Le Beau, einer
in Paris lebenden Österreicherin, formuliert sie die hybride Identitätsbildung wie
folgt: »In Paris verändert sich eben alles! Man steht eines schönen Tages auf und
erkennt sich nicht mehr.«63 Die Identität von Frau Teste Le Beau lässt sich durch
Homi Bhabhas Definition eines »Third Space« begreifen: »we may elude the po-
litics of polarity and emerge as the others of our selves«.64 Déry weist zudem auf
57 | Zit. n. Merian: Juliane Déry, S. 1540f.
58 | Déry, Juliane: Meine Braut. In: dies.: Hoch oben, S. 1-106; dies.: Variatio delectat. In:
dies.: Hoch oben, S. 107-167.
59 | Déry, Juliane: D’Schand. Volksstück. München: Albert 1894; dies.: Die sieben mageren
Kühe. Komödie in drei Akten. Berlin: S. Fischer 1897; dies.: Es fiel ein Reif. Drama. Berlin:
S. Fischer 1896.
60 | Brausewetter: Meisternovellen deutscher Frauen, S. 66.
61 | Zolnai, Béla: Déry Juliánna. In: Nyugat (1915), S. 1116 [wenn nicht anders angegeben,
Übers. d. Verf.].
62 | Heike Schmid weist darauf hin, dass dieser Einakter manche autobiografische Elemen-
te aufweist, was den Schmerz der verlassenen jungen Frau betrifft, vgl. Schmid: Gefallene
Engel, S. 150. Außerdem sollte bemerkt werden, dass Thadée mit dem Gedanken spielt, sich
vom Balkon zu stürzen, eine Methode, die, wie wir wissen, Déry für ihren eigenen Selbstmord
gewählt hat.
63 | Déry: Es fiel ein Reif, S. 12.
64 | Bhabha, Homi K.: Cultural Diversity and Cultural Differences. In: Ashcroft, Bill/Grif-
fiths, Gareth/Tiffin, Helen (Hg.): The Post-Colonial Studies Reader. London/New York: Rout-
ledge 22006, S. 155-157, hier S. 157.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur