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Eva
Krivanec244
Existenz als »digitale Nomaden« zum neoliberalen Imperativ wurde, setzte die Fi-
guration des Nomaden oder der Nomadin ihr utopisches Potenzial frei gegen die
»Kraftlinien« des Staatsapparats.
Der Rückgriff auf die archaische Gesellschaftsform des »Nomadentums« hat
diesen sozialphilosophischen Thesen zur Gegenwartsgesellschaft immer wieder
auch den Vorwurf der Ahistorizität oder des »Primitivismus« eingebracht. Ein de-
taillierter historischer Blick auf »nomadische« Lebensläufe, insbesondere in der
Phase der großen Umwälzungen der kapitalistischen Moderne zwischen etwa 1870
und 1930, könnte einen Beitrag zur Historisierung des »Nomadischen« leisten und
eventuell tatsächlich zu einer Genealogie jener Patchwork-Erwerbsbiografien, mit
denen wir uns heute konfrontiert sehen, hinführen. Die Berufsgruppe der Büh-
nenkünstlerinnen und -künstler, die in der florierenden und zunehmend interna-
tional vernetzten Theaterbranche von Engagement zu Engagement reisten, deren
berufliche Lebensläufe, auch wenn sie nicht zum Kanon der wenigen berühmt ge-
bliebenen Schauspielerinnen und Schauspieler zählen, relativ gut dokumentiert
sind, bietet reiches Material für eine solche Untersuchung.6
In der Phase der einsetzenden Hochmoderne waren die Menschen – zunächst
v.a. jene in Europa und den USA, mit verschiedenen Geschwindigkeiten aber auf
der ganzen Welt – einem alle Bereiche des Lebens umfassenden gesellschaftlichen
Wandel ausgesetzt, der zum Teil kontinuierlich, zum Teil krisenhaft und revolutio-
när das soziale Gefüge in Bewegung brachte und die Einzelnen vor große Heraus-
forderungen im Umgang mit neuer Technik, Transportmitteln, Kommunikations-
medien, explodierenden Städten, rationalisierter Arbeitsweise, erweiterter Freizeit,
dem Wohnen auf engem Raum usw. stellte.
Das Wachstum der europäischen Städte in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts, mit einer deutlichen Akzeleration gegen Ende des Jahrhunderts, ist in
seiner Bedeutung für die fundamentalen Transformationen der Moderne kaum
hoch genug einzuschätzen. Mit ihnen wächst und gedeiht auch eine Kultur der
öffentlichen Vergnügungen, die außerhalb der Metropolen nicht in gleicher Weise
denkbar ist.
Dass das Berufsfeld der Schauspielerinnen und Schauspieler, der Artistinnen
und Artisten mit einem unsteten Lebenswandel verbunden ist, scheint selbstver-
ständlich. Dies galt auch lange Zeit als Begründung für deren gesellschaftliche
Ächtung und Ausgrenzung. Mit den Transformationsprozessen der Moderne wird
jedoch gerade diese Mobilität auch zur Projektionsfläche für neu entstehende Sehn-
süchte und erfährt eine Aufwertung. Die ersten Stars sind hier nur der Gipfel eines
generell hohen öffentlichen Interesses7 für darstellende Künstlerinnen und Künst-
ler und ihren Lebenswandel. Doch was dieser Zwang zur beruflichen Mobilität für
die Biografie der oft noch sehr jungen Bühnenkünstlerinnen bedeutete, wie es ihr
6 | Dass die beruflichen Lebensläufe von Bühnenkünstlerinnen und -künstlern im Prinzip
leichter dokumentierbar sind als jene vieler anderer Berufsgruppen, bedeutet nicht, dass
diese Information nicht äußerst verstreut und nur über viele Einzelquellen überhaupt er-
schließbar ist – dies ist vielfach auch erst seit der Verfügbarkeit durchsuchbarer Zeitungs-
archive, allen voran sei hier die Pionierarbeit von http://anno.onb.ac.at genannt, möglich
geworden.
7 | Besonders die neu entstehenden Illustrierten scheinen hier eine gesellschaftliche Nach-
frage aufgenommen und ihrerseits verstärkt zu haben.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur