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Eva
Krivanec254
nächst nicht als Operettensängerin bekannt – von denen es auch viele, weit etab-
liertere in Wien gab –, sondern als »Erste Soubrette« im Varieté und in den neu-
en – meist importierten – Genres der Revueoperette oder Musical Comedy. In der
Wiener »Zeitschrift für die vornehme Welt« Sport & Salon erschien im September
1902 ein kurzes Künstlerinnenporträt von Fritzi Massary, die nun »[a]llabendlich
[…] wahre Beifallsstürme [entfesselt]«.62 V.a. mit der Interpretation von Couplets
und Wiener Liedern – so z.B. Karl Kapellers I hob amal a Räuscherl g’habt (1904) –
erregte sie Aufmerksamkeit, weit über das Publikum des Orpheum hinaus.
Richard Schultz, der österreichische Direktor des Berliner Metropol-Theaters,
das als weltstädtische Revue-Bühne bekannt geworden war, kam immer wieder in
privater wie beruflicher Sache nach Wien und besuchte hier u.a. auch Danzers Or-
pheum. Er wurde auf Fritzi Massary aufmerksam und engagierte sie ab April 1904
für das Metropol-Theater in Berlin.63
Das Konzept der Jahresrevuen hatte Schultz aus Paris importiert, es jedoch auf
die politische Situation des deutschen Kaiserreichs und auf das Bedürfnis der jun-
gen Hauptstadt, sich selbst als Metropole zu feiern, adaptiert – d.h., das Satirische
trat deutlich in den Hintergrund, während das Spektakuläre und das Harmlos-
Humoristische dominierten.64 Doch um das Metropol-Theater zu diesem unwi-
dersprochenen Zentrum der Berliner Unterhaltungskultur und zum Treffpunkt
des gerade erst entstehenden »Tout Berlin« zu machen, brauchte Richard Schultz
neben einer ganz entscheidenden Eigenschaft, die Marline Otte in Ermangelung
eines positiv gewendeten Ausdrucks als »astounding lack of aesthetic orthodoxy«65
beschreibt, v.a. ein zugkräftiges Ensemble, für das er vorwiegend jüdische Künst-
lerinnen und Künstler engagierte, die jedoch nicht als solche, sondern als indivi-
duelle Künstlerpersönlichkeiten hier ihre Wirkungsstätte fanden:66 Das waren im
Jahr 1904 hinter der Bühne der Komponist Victor Hollaender und der Textdichter
Julius Freund, der sämtliche der Metropol-Jahresrevuen verfasste,67 und auf der
Bühne der wie Fritzi Massary aus Wien stammende Josef Giampietro, der später zu
Max Reinhardt ging, und Henry Bender, der kurz darauf als Stummfilmkomiker
Karriere machte. Es fehlte Schultz also noch ein weiblicher Star, und das elegante
und anspielungsreiche Auftreten von Fritzi Massary kam ihm wie gerufen.
Doch die Liebe des Publikums musste sie erst nach und nach gewinnen. Erst in
der vierten Jahresrevue, Das muß man sehn! von Julius Freund mit Musik von Victor
Hollaender aus dem Jahr 1907, wurde Fritzi Massary, die zuvor bereits als wichti-
62 | Vgl. NN: Mit Frl. Fritzi Massary …, S. 27.
63 | Vgl. Schneidereit: Fritzi Massary, S. 15.
64 | Vgl. allgemein zur Struktur der Metropol-Revuen: Kothes, Franz-Peter: Die theatra-
lische Revue in Berlin und Wien, 1900–1938. Typen, Inhalte, Funktionen. Wilhelmshaven:
Heinrichshofen 1977, S. 29-49; Völmecke, Jens-Uwe: Die Berliner Jahresrevue 1903–1913
und ihre Weiterführung in den Revue-Operetten des Ersten Weltkriegs. Köln: TÜV Rheinland
1997, S. 57-83; Jelavich, Peter: Berlin Cabaret. Cambridge, MA/London: Harvard University
Press 1993, S. 104-117; Otte, Marline: Jewish Identities in German Popular Entertainment,
1890–1933. Cambridge: Cambridge University Press 2006, S. 223-226.
65 | Otte: Jewish Identities, S. 223.
66 | Vgl. ebd., S. 229-244.
67 | Vgl. ebd., S. 230f.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur