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Eva
Krivanec262
östlichen Provinzen Deutschlands; er aus einem ostpreußischen Nest, sie aus Schlesien;111
ein slawischer Bluteinschlag existiert ohne Zweifel.112
Ungeachtet dieser vom Rassendiskurs der Zeit geprägten – wenn auch insgesamt
anerkennend gemeinten – Charakterisierung der beiden Schauspielerpersönlich-
keiten, war die Zusammenarbeit mit Paul Wegener für Tilla Durieux tatsächlich
eine der wichtigsten in der Zeit unmittelbar vor und nach dem Ersten Weltkrieg:
Sie waren leidenschaftlich Verbundene und Gegenspieler – Judith und Holofernes
in Hebbels Judith, Jokaste und Ödipus in Sophokles’ König Ödipus, mittelalterlicher
Graf und Gräfin in Schmidtbonns Der Graf von Gleichen, der Arzt Sir Ridgeon und
Jennifer, die junge Ehefrau des schwer kranken Malers Dubedat, in Shaws Der Arzt
am Scheidewege, später dann die Zarin und Rasputin in Leo (Lev) Tolstojs Rasputin
unter der Regie von Erwin Piscator.
Schon 1907 begann Tilla Durieux, gemeinsam mit dem sozialdemokratischen
Musikpädagogen Leo Kestenberg, an probefreien Sonntagen in die Berliner Arbei-
terviertel zu fahren und dort literarische und musikalische Arbeiter-Matineen zu
veranstalten. Im Zuge dieser Aktivitäten machte sie die Bekanntschaft von Rosa
Luxemburg, die sie für ihren Scharfsinn und ihre Klarheit bewunderte und die zu
einer wichtigen Freundin wurde – es war nicht zuletzt Tilla Durieux, die Rosa Lu-
xemburg während des Ersten Weltkriegs, als diese im Gefängnis war, finanziell
und moralisch unterstützte.113 Sie war eine jener seltenen Bühnenkünstlerinnen,
die trotz ihrer bürgerlichen Herkunft und ihres glamourösen Lebensstils – ebenso
wie Fritzi Massary zeigte sie sich gerne als Automobilfahrerin und sogar als Pilotin
– zeitlebens ihrem prononcierten politischen und sozialen Gewissen folgte.
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war für die nun ohne fixes Ensemble von
Produktion zu Produktion wandernde, dennoch begehrte und erfolgreiche Schau-
spielerin eine Zeit fiebriger Aktivität und eines kaum vorstellbaren Arbeitspen-
sums. Wie manch Londoner Varietéstar spielte sie zuweilen an ein und demselben
Abend in zwei Aufführungen (neben den Proben für ein drittes Stück untertags),
und es kam vor, dass sie mit ihrem Publikum durch Berlin um die Wette fuhr,
da dieses sich den Spaß machte, sie an einem Abend in beiden Theatern zu se-
hen.114 Einem Wiener Journalisten sagte sie, angesprochen auf diese hohe Belas-
tung: »Zum Vergnügen ist Berlin nicht da […]. Vielleicht ist es in Wien schöner,
berühmt zu sein.« Und rückblickend setzt sie sich mit der spezifischen Kunst des
111 | Tilla Durieux ist zwar aus Breslau/Wrocław nach Berlin gekommen, doch geboren und
aufgewachsen ist sie in Wien. Ihre Wurzeln reichen also nicht nach Schlesien wie Bab be-
hauptet, sondern nach Österreich-Ungarn (ihre Mutter stammte aus Temeswar/Timişoara,
ihr Vater war in Wien geboren), nach Hamburg (ihr Großvater väterlicherseits war aus Ham-
burg nach Wien gezogen) und nach Frankreich (ihr Vater stammte aus einer aus Frankreich
geflohenen Hugenottenfamilie). Möglicherweise war dies Bab tatsächlich unbekannt, viel-
leicht aber passte ihm seine Behauptung auch zu gut ins Konzept, um sie den Tatsachen zu
opfern.
112 | Bab, Julius: Paul Wegener und Tilla Durieux oder Der östliche Einschlag. In: ders.:
Schauspieler und Schauspielkunst. Berlin: Oesterheld 1926, S. 93-102, hier S. 93f.
113 | Vgl. Rai: Tilla Durieux, S. 37f.
114 | Vgl. Preuß, Joachim Werner: Tilla Durieux. Porträt der Schauspielerin. Deutung und
Dokumentation. Berlin: Rembrandt Verlag 1965, S. 19.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur