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Südslaven Oesterreichs«,38 so dass der monarchische Raum in seinem Entwurf
plurizent risch wird. Damit wird Zagreb zum neuen nationalen Zentrum erhoben,
was Šenoa später in seinem Schaffen programmatisch thematisiert, weshalb Ivo
Frangeš in seiner Literaturgeschichte Šenoas Literaturkonzeption »zagrebozen-
trisch«39 nennt. Somit verlagert sich der Akzent von einem imperialen auf einen
nationalen, erst zu entwickelnden Rahmen.
In seiner frühen publizistischen und essayistischen Tätigkeit sind unterschied-
liche und oft divergierende Stufen zu identifizieren, die mit ihrer Vielschichtig-
keit auf die Tatsache hinweisen, dass zu diesem Zeitpunkt an der südslavischen
Peripherie unterschiedliche Zukunftsentwürfe koexistieren. Diese Phase kann
mit Eric J. Hobsbawm als »protonational« bezeichnet werden. Ihre Aufgabe ist es,
»bestimmte Spielarten kollektiver Zugehörigkeitsgefühle [zu] mobilisieren«.40 In
diesem Sinne behauptet die kroatische Historikerin Mirjana Gross mit Recht, die
Integrationsprozesse im kroatischen Raum seien bis zum Zerfall der Habsburger
Monarchie nicht vollendet worden.41
Dabei muss betont werden, dass in August Šenoas gesamtem Schaffen die so-
zialpolitische Realität seiner Zeit eine zentrale Rolle spielt, denn er versucht immer
wieder, die prekäre Lage der dreigeteilten kroatischen Nation zu beschreiben. In
diesem Sinne publiziert Šenoa in den Slavischen Blättern eine wichtige biografische
Skizze über den kroatischen illyrischen Dichter Peter von Preradović, in deren Ein-
leitung er die Situation im 19. Jahrhundert zusammenfasst:
Traurig, sehr traurig. Ragusa’s Stern, der Jahrhunderte hindurch seinen Glanz über die süds-
lavischen Lande ergoss, war verblichen, […] Dalmatien durch Terrorismus venetianischer
Oligarchen dem Mutterlande entfremdet, vegetirte nur unter dem Einflusse der italienisirten
Bureaukratie, der Ideenkreis der Militärgrenze beschränkte sich auf das Dienstreglement,
Provinzial-Kroatien und Slavonien fand sich im Gewande des lateinischen Feudalismus ma-
teriell zwar wohl, aber geistig versumpfte es.42
So beschreibt August Šenoa die zentralen Probleme des 19. Jahrhunderts für die
kroatische Peripherie aus historischer Perspektive. Als Erklärung für die ungleiche
Entwicklung kroatischer Gebiete beruft er sich auf die geschichtlichen Faktoren
und Auswirkungen der Fremdherrschaft:
Es gibt wohl wenige Völker, deren Culturentwickelung so viele Phasen durchgemacht hat,
so vielen fremden und charakteristischen Einflüssen ausgesetzt war, wie die der Kroaten.
38 | Zit. n. Šenoa: Nepoznati rani radovi …, S. 312-317, hier S. 313 (Šenoa, August: Bilder
aus Kroatien. Aus dem Agramer Comitat. In: Österreichische Revue 1 [1866]).
39 | Frangeš/Živančević: Povijest hrvatske književnosti, S. 347 [wenn nicht anders angege-
ben, Übers. d. Verf.].
40 | Hobsbawm: Nationen und Nationalismus, S. 59.
41 | Vgl. Gross, Mirjana: O integraciji hrvatske nacije [Über die Integration der kroatischen
Nation]. In: dies. (Hg.): Društveni razvoj u Hrvatskoj, S. 175-190.
42 | Šenoa: Peter von Preradović [I], S. 411. Dieser Artikel wurde in Šenoas Gesammelten
Werken in kroatischer Sprache wiedergegeben und oft zitiert.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur