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Enikő
Dácz300
Beiträge überwiegen, es müßte über Magyaren und Rumänen ständig berichtet werden! Da-
rin liegt der Wert der Zeitschrift. Wir Sachsen haben doch keine Dichter, mit denen wir Staat
machen könnten!« »Sie scheinen, sehr geehrter Herr Redakteur, nicht zu wissen, daß es heu-
te auch eine sogenannte sächsische Literatur gibt, eine erfreuliche Anzahl junger Talente, die
einem heimischen Blatt Heimatkunst bieten könnte.«18
Die Propagierung der magyarischen und rumänischen Literatur wurde dennoch
zur moralischen Pflicht erklärt, genauso wie die Vermittlerrolle zwischen Deutsch-
land, Österreich und Siebenbürgen, mit dem Ziel, europäische Maßstäbe zu errei-
chen. Der spätere, ebenso programmatische Artikel Die »Karpathen« bewahrte den
kämpferischen Duktus und entbehrte nicht der Kritik der sächsischen Gemein-
schaft: »Wir sind die wahren Holländer des Ostens: schwerfällig und dickblütig;
nüchtern, zähe und fleißig; verschlossen, konservativ, der Obrigkeit und der Autori-
tät unbedingt ergeben. Lauter schöne Eigenschaften.«19 Die Forderung, die Sach-
sen müssten »immer mehr Qualitätsvolk«20 werden, durchdrang auch die Fortset-
zung des Artikels, die auf die »geistige Kolonistentätigkeit des deutschen Volkes«
einging, welche »mit [der] wirtschaftlichen Erschließung fremder Länder« »Hand
in Hand«21 gehe. Die Aufgabe der Sachsen sei es, die ungarische und rumänische
Kultur auch dem Westen zu vermitteln, v.a. sollten sie sie gut kennen, weil sie
mit ihnen konkurrierten. »Ignorieren und hochmütige[s] Pochen auf den eigenen
Wert«22 würden nichts bringen, so der Tenor.
Das Profil der Zeitschrift war somit einerseits von der Dichotomie von Innova-
tion und Tradition, andererseits von der bewusst übernommenen Vermittlerrolle
in einem transkulturellen Grenzgebiet bestimmt. Die Eliten, die in den Karpathen
zu Wort kamen, hatten im Prozess des nation building und in der Propagierung der
Habsburger Ausformung des Nationalismus eine führende Rolle inne,23 indem sie
die Verbreitung der ethnischen Deutungsmuster vorantrieben. Sie traten jedoch
zugleich mit dem revolutionären Anspruch auf, die interethnische Kommunika-
tion zu fördern.
Bei dem Versuch, Toleranz und Verständnis zu bekunden, ohne dabei auch ein gewandeltes
nationales Selbstverständnis anzustreben, verstrickt Meschendörfer sich notgedrungen in
Widersprüche: seine Absicht, die magyarische und rumänische Kultur gleichzeitig aus sie-
benbürgisch-sächsischer und kritisch-objektiver Sicht zu präsentieren, bleibt hypothetisch,
da die eine Sichtweise die andere ausschließt.24
18 | Ebd., S. 353f.
19 | Herausgeber [Adolf Meschendörfer]: Die »Karpathen« I. In: Die Karpathen 1 (1910),
S. 3-7, hier S. 5.
20 | Ebd.
21 | Herausgeber [Adolf Meschendörfer]: Die »Karpathen« II. In: Die Karpathen 2 (1910),
S. 40-43, hier S. 42.
22 | Ebd.
23 | Vgl. Gellner, Ernest: Nationalismus und Moderne. Übers. v. Meino Büning. Hamburg/
Berlin: Rotbuch 1995, S. 146.
24 | Konradt: Grenzen einer Inselliteratur, S. 178.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur