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Versuche der Horizonterweiterung 305
Der sächsische Bauer par excellence, den Plattner in der Gestalt des Seiwert
Meїrten schuf, entstammt ebenso einer stereotypisierenden Figurenkonstella-
tion, er ist tüchtig, klug und sparsam:
Seine Arbeiter, Rumänen, Böiäschen und Zigeuner, die er den Winter über aushielt, oder die
ihm schuldig waren, hielt er kurz und fest an zur Arbeit. Umsomehr, als er es aus Erfahrung
wußte und täglich wieder erfuhr, daß eben der »ausgewinterte« Zigeuner und der schuldige
Rumäne am meisten hudelten und säumig arbeiteten. Beim Essen aber waren diese die flei-
ßigsten und ausdauerndsten. Ja sogar wählerisch bezüglich der Speisen.47
Ironie des Schicksals ist es, dass der gegenüber den Rumänen so unduldsame
Meїrten schließlich in einem rumänischen Dorf begraben wird.
Neben den Siebenbürger Sachsen wurden schwäbische Charaktere aus dem Ba-
nat in etlichen Erzählungen idealtypisch dargestellt. Dies erfolgte im Geiste des
›alldeutschen Gedankenguts‹, das die Zeitschrift propagierte. Ludwig Schmidts in
Fortsetzung abgedruckte Novelle Heimweh liest sich als literarische Mustererzäh-
lung der sächsisch-schwäbischen Beziehungen und bildet den gängigen zeitgenös-
sischen identitätsstiftenden Diskurs ab. Der auktoriale Erzähler führt in diesem
Sinne in pathetisch-didaktischem Ton in die Geschichte ein:
Es ist noch gar nicht so lange her, daß die Schwaben von ihren sächsischen Brüdern sehr
wenig wußten. […] [M]an […] wußte nichts von den ungeheuren Opfern an Schweiß und Blut,
welche das Sachsenvolk im Laufe der Jahrhunderte der Erhaltung seiner Eigenart und seines
Volkstums zu bringen genötigt war […].48
Die linear verlaufende Handlung setzt mit der Zugfahrt eines jungen Ehepaa-
res ein, das Fahrgäste von »unverkennbarem germanischem Typus, blondhaarig
und blauäugig«49 beobachtet, und umfasst die Anpassungsgeschichte der jungen
sächsischen Frau, von der im Banater schwäbischen Heimatdorf ihres Mannes
das Gerücht verbreitet wird, sie sei eine Walachin.50 Das gut aufgenommene neue
Familienmitglied hat furchtbares Heimweh nach den Bergen ihrer Heimat und
einen ausgeprägten Kinderwunsch, was in einem verzweifelten, aber unbewussten
Selbstmordversuch kulminiert. Erst nachdem sie fast in der Donau ertrunken wäre
und als sie vom ungarischen Freund ihres Mannes und dessen Frau herzlich auf-
genommen wird, wird ihr ihre Schwangerschaft bewusst, was zugleich ein Gefühl
der Heimat mit sich bringt.51 Der Ausklang der Novelle ist genauso pathetisch wie
ihr Anfang: »Sachsen und Schwabenblut, – daß ihr euch fürder öfter finden möget!
Geb’s Gott!«52
Die sprachliche Form – d.h. der Dialog in Mundart – passt zum ideologischen
Schema, dessen Zentrum die Großfamilie, die schwäbische Frau mit ihren vie-
47 | Plattner, Johann: Sächsische Bauerngestalten 4: Der Seiwert Meїrten. In: Die Karpathen
24 (1911), S. 749-754, hier S. 751.
48 | Schmidt, Ludwig: Heimweh [I]. In: Die Karpathen 15 (1912), S. 450-457, hier S. 451.
49 | Ebd.
50 | Vgl. Schmidt, Ludwig: Heimweh [II]. In: Die Karpathen 16 (1912), S. 481-487.
51 | Vgl. Schmidt, Ludwig: Heimweh [III]. In: Die Karpathen 17 (1912), S. 514-517.
52 | Ebd., S. 517.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur