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Cristina
Spinei336
von Wilhelmine Mohr eine Auseinandersetzung und zugleich eine Strategie, sich
von überlieferten Modellen zu distanzieren, auch wenn sie die von der Redaktion
in den Raum gestellte Frage »Gibt es eine Frauenbewegung bei uns?« mit »nein«
beantwortet.33
Im Rahmen der 1924 auch als Reaktion auf modernisierungsbedingte inner-
gesellschaftliche Veränderungen bewusst eingeführten Beilage Die Allgemeine der
Frau schlägt beispielsweise Pepi Rosenfeld eine Umfrage unter jungen Leserinnen
mit dem Ziel vor, sich nach deren Lektüren zu erkundigen; auch sie selbst gibt an,
was sie in den jungen Jahren gerne gelesen hat:
Junge Mädchen! Höret! Einst, als auch ich ein junges Mädchen war – o selige Zeit – und ich
Zeit hatte, viel Zeit (die Hausfrau hat nämlich niemals Zeit), da las ich wirklich bei Tag und
Nacht. Was? Alles, was mir in die Hand kam. Das war Grundprinzip. Dann alles, was man mir
empfahl, alles, was Mode war und alles, was man mir verbot und ich stahl.34
Anschließend legt sie ihnen mehr Mut zu selbstbestimmten Lektürevorlieben ans
Herz. Auch die Antworten der Leserinnen beweisen, dass neue Zeiten einen neuen
Geschmack sowie eine Sehnsucht nach starken Gefühlen bedeuten:
Keine Romane, Dramen oder gar Gedichte, in denen Gefühlsergüsse über den Leser ge-
gossen werden, natürlich, versteht sich, niemals wirklich gefühlt. Nein, nicht das ist wahre
Kunst, nicht dort liegt das Schöne, das Gute, das Wahre, kurz das Leben, sondern in der Er-
zählung kühner Wagnisse und im Detektivroman. Wessen Herz schlägt da nicht schneller!35
Anhand dieses Beispiels lässt sich erkennen, dass die Czernowitzer Allgemeine Zei-
tung eine Zwischenstellung zwischen einem traditionellen Frauenbild und einem
emanzipierten Rollenmodell einnimmt. Das Blatt zielt oft darauf ab, seine Leser-
schaft mit neuen Themenstellungen zu konfrontieren und sein Interesse an Frau-
enrechten oder seine Neugier auf körperliche Zügellosigkeit zu wecken.
Sechs Jahre später als die Czernowitzer Allgemeine Zeitung führte 1930 auch das
sozialdemokratische Organ Vorwärts unter dem Titel Die freie Frau eine wöchent-
liche Beilage für Frauenemanzipation ein. Diesem modernen Bild einer selbststän-
digen Frau entsprechend wurden progressive Beiträge beispielsweise aus der Feder
der österreichischen Sozialdemokratin Therese Schlesinger oder Marianne Pollak
herangezogen, die sich für die Befreiung aus der engen bürgerlichen Moral und
für die Gleichberechtigung einsetzten. Während Pollak in ihrem aus der Wiener
Arbeiter-Zeitung übernommenen Artikel für eine »freie Ehe« und die Freiheit, sich
ungeachtet des Alters jung fühlen zu dürfen, plädierte,36 tat Schlesinger ihre Re-
33 | Vgl. Mohr, Wilhelmine: Gibt es eine Frauenbewegung bei uns? In: Czernowitzer Morgen-
blatt v. 3.2.1924, S. 3.
34 | Rosenfeld, Pepi: Was lese ich. Eine Rundumfrage an die jungen Mädchen. In: Czernowit-
zer Allgemeine Zeitung, »Die Allgemeine der Frau« v. 13.3.1924, S. 1.
35 | Fabian, Veronika: Was soll ich lesen? Antworten auf unsere Rundfrage: Die Verkehrte.
Für den Detektivroman. In: Czernowitzer Allgemeine Zeitung v. 20.3.1924, S. 6.
36 | Vgl. Pollak, Marianne: Das Recht auf gleiche Jugend für Mann und Frau. In: Vorwärts,
»Die freie Frau« v. 11.4.1930, S. 6.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Title
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Subtitle
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Authors
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Size
- 15.4 x 23.9 cm
- Pages
- 454
- Keywords
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Category
- Kunst und Kultur