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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
spannendzulesenwarunddarüberhinausauchnochzumNachdenkenangeregt
hat. ImGegensatz dazu kann sich die Sprecherin nicht dazu durchringen, das
Buch „sehr anspruchsvoll“ zu nennen.Aus vergnügenstheoretischer und ideo-
logiekritischer Sicht9 läge es nahe zu fragen, ob sie der Norm folgt, dass nur
mühevollErarbeitetesSinnundWerthat.Zubedenken ist allerdingsauch,dass
sie eineLaienleserin ist, undausdiesemGrundnichtdamit vertraut seinmuss,
wie weit die Bandbreite anspruchsvoller Literatur ausgelegt werden kann.Mit
Blick auf dasProfil derGruppe erscheint es ebenso stichhaltig, dass sie andere
Gründedafürhat, dasBuchnicht ausschließlich zu loben. Sie istMitgliedeiner
Runde, diemit sichunddenbesprochenenTexten sehr behutsamumgeht, Re-
spekt, Sachlichkeit, Empathie sowie feinenHumorpositiv bewertet. Boyles un-
gestümer Stil, er treibt seine FigurenundMetaphernmit einer gewissenRück-
sichtslosigkeit voran, kommt dem in dieQuere, weshalb ein zweites Gruppen-
mitglied immer wieder die Frage aufwirft, ob das nicht „reißerisch“ sei. Eine
meta-reflexiveEbeneerschließt sichderGruppe inderFragenicht.
GemäßdenprägendenWerthaltungen inderRunde ist allerdings auch letz-
tereSprecherinbemüht,denBegriff des„Reißerischen“als„nichtganznegativ,
aberauchnichtganzpositiv“zubestimmen(G1/D1/Bw4,Z.1697)sowieneutral
als „mitreißend, oder […] weiter reißend einfach“ (Z. 1704).Man positioniert
sich ebennicht gern auf extremeWeise. Ein drittesMitglied, das vonder „Dy-
namik“unddem „Drive“desBuches, „dassmandirekt hineingezogenworden
ist“ (G1/D1/Bm1, Z. 546–549), sehr angetan ist, „würde das [Buch] auch je-
mandemsofort empfehlenzumLesen“undist sichweniger sicher,obmandem
Buch literarischeQualitäten absprechen kann: „wahrscheinlich nicht sehr ger-
manistisch geschrieben, sehr hochgestochen“ (G1/D1/Bm1, Z. 552ff). Ein wei-
teresMitgliedkommtgegenDiskussionsendeerneut lobendaufdiebesonderen
unterhaltendenMomente, die ihrdasBuchgebotenhabe, zurückundbemerkt
etwas sarkastisch: „Auchwennmandasals reißerischbezeichnet, gell, ja.“ (G1/
D1/Bw5,Z. 2539)
2.3 ZumVerhältnis von „lustig“–„witzig“–„lächerlich“
IndenGruppendiskussionenwirdimmerwieder(meistnacheinerDebatteüber
einen besonders herausforderndenText) nach „lustiger Literatur“ gerufen, die
manalsnächsteLektürewählenkönnte.Gleichzeitigwirddiesenichthartnäckig
gesuchtoder tatsächlichdiskutiert, zumindestnichtwährenddesZeitraumsder
Beobachtung.DasGenre„Comedy“wirdinallendreiGruppennichtalsLesestoff
gewählt, auch nicht unterhaltende Frauen- oderMännerromanewie beispiels-
9 Vgl.Pfaller2002.
„Ich lachenichtüberdich, aberesklingt so lustig.“ 95
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Title
- Über Bücher reden
- Subtitle
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Author
- Doris Moser
- Editor
- Claudia Dürr
- Publisher
- V&R unipress
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 262
- Category
- Lehrbücher