Page - 122 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
derEdith hat.Das „Ja, aber“ auf derEinleitungsposition ihrerÄußerungnutzt
sie,umdasThemawiederaufzunehmen(„Ja,aber“wirdüblicherWeiseauchzur
Einführung neuer Themen genutzt) und einen Einwand zu äußern – „ja“ si-
gnalisiert hier keinen Zuspruch, sondern bleibt aufgrund seiner Polyfunktio-
nalität vage.48 Bw1 widerspricht Bw7 nun explizit: Stoners Frau „war schon
wichtig“,denn„diehatjaseinLebenzerstört“.EsfolgtdieZustimmungvonBm1,
Bw5stimmtzwarauchzu, schwächtdieÄußerungaberbereitsab:„Diehat sein
Leben sehr geprägt.“ Bw1 untermauert ihre Ansicht: Edith habe Stoner
schließlichausNeid„dieTochterentzogen“,was„jadasSchlimmsteüberhaupt“
gewesen sei. Diese Aussage findet beim Rest der Gruppe keine explizite Zu-
stimmung, auch Bw4 und Bw6, die sich in dieser Passage zu Wort melden,
schwächenweiterab.Bw4vermeidetes,überEdithzusprechen,undbeziehtsich
aufStoner:„UnddashaterauchmiteinerstoischenRuhehingenommen“.Auch
Bw6 fokussiert auf Stoner in ihrer Äußerung, die inhaltlich Bw4 entspricht:
Stoner habenicht aufbegehrt, „das ist eigentlichunverständlich, oder?“. Durch
das „oder?“ wird nach Bestätigung gesucht, aber niemand aus der Gruppe
schließt direkt an, die Frage wird eventuell aufgrundmehrerer gleichzeitiger
Wortmeldungennichtbewusstwahrgenommen.
Bw7 geht auch nicht auf Edith ein, sondern auf das vonBw1 imNebensatz
aufgeworfene Thema, und stellt (beim dritten Anlauf) fest: Sie habe Stoners
„Leben nicht als ein zerstörtes“ empfunden. Dadurch vermeidet sie das ur-
sprünglicheThema–wiewichtigEdithsEinfluss ist–, kannaberdieÄußerung
imNebensatzvonBw1explizitdurcheinenWiderspruchabschwächen(mitder
entsprechendenVorsicht durch die Ich-Formulierung). Daraufhin lenkenBw1
(undBm1)nochwährendBw7sÄußerungein(Bw1:„Nein,ehnicht“ /Bm1:„für
ihnnicht“)undweichenvon ihrerursprünglichenMeinungab.
Bw1kann inderGruppe von ihrer ursprünglichenAussage abrücken, ohne
ihrePositionaufsSpielzusetzen.Sie fühltsichvielleichtsogardazuverpflichtet,
ihre Einschätzung zu ändern, als sie die zunehmende Abschwächung durch
andereGruppenmitglieder bemerkt, und stimmtexplizit zu: „Stimmt, ja.// Zer-
stört hat sie esnicht“, verleiht aber ihrerursprünglichenMeinung–wennauch
wesentlichabgeschwächt–durchdenNachtrag„abersiehatallesprobiert“doch
nocheinmalAusdruck.Gleichzeitig zeigensichdieanderenGruppenmitglieder
kooperativundvermeidenexplizitenWiderspruch, sondernwidersprechennur
indirekt und gehen auf Teilaspekte der Äußerung von Bw1 ein, wie in dieser
Passage generell keine direkten Ansprachen oder Bezugnahmen aufeinander
stattfinden.
Nicht nurBw1hat ihreÄußerung abgeschwächt, auchBw7 ist von ihrer an-
fänglichenAussageabgerückt:Sieäußertsichzwarnichtmehrexplizitdazu,wie
48 Vgl.Koerfer1979.
KatharinaEvelinPerschak122
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Title
- Über Bücher reden
- Subtitle
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Author
- Doris Moser
- Editor
- Claudia Dürr
- Publisher
- V&R unipress
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 262
- Category
- Lehrbücher