Page - 163 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
Freude,daszu lesen[….] Ich findeandemGanzennichtPoetischesundnichts
Schönes.Also jetzt an ihrer Sprache.Die gefälltmir einfachnicht.“ (G3/D2/B1,
Z. 1804–1807)DerEinwandwirdzumEinfallstor füreineweitereNuance inder
Diskussion. Sowird zunächstMüllers Sprach-undErzählstil als einungeküns-
telter und keinesfalls selbstgefälliger gegenüber jenemKegeles hervorgehoben:
„dasistdas,wodieKegelevielleichthinMAG“(G3/D2/B2,Z.1867)–„Nieumdes
Sprachspielenswillen.“ (G3/D2/B2, Z. 1914) Inweiterer Folge erhebt sich aber
ebenso Kritik, die Müller in die Nähe von Kegele rückt: Auch bei Müller sei
Selbstbespiegelungzuerkennen.„Habt ihralle schonmitbekommen,wieschön
ich das kann?“ (G3/D2/B5, Z. 2006) Während in den negativen Rezensionen
Müllers Sprachkunst als kraftlose Schönheit und als peinlich-schwächelnder
AbklatschechtenErlebenswahrgenommenwird(s.o.),stelltdieLesegruppeden
Vorwurfderkünstlerisch-narzisstischenSelbsterhebung indenRaum.Darüber
hinauswirdüberdiePlausibilitätdesSozialverhaltensderFigurendiskutiert,die
imLagerumsÜberlebenkämpfenundmöglicherweise zupositiv gestaltet sind:
„obdiewirklichalle sonettwaren?“–„SolcheSituationen.Die tun janichtdas
BESTE im Menschen hervorholen, sondern das Schlechteste.“ (G3/D2/B5,
Z. 2225; B1, Z. 2269) Man einigt sich darauf, dass die Figurenzeichnung der
Realität entspricht, da das Lager kein KZ gewesen sei und auch in einemKZ
kleineFreiheitenerlebbargewesenwären.(vgl.B5,Z.2285;B4,Z.2293).Darüber
hinauswerdendieFigurenfür ihrenMut(vgl.B4,B2,Z.2456–2463;B4,Z.2511)
undihreGelassenheit (vgl.B2,B5,Z.2537–2541) imUmgangmitdemExtremen
bewundert. Von den zwei Schwestern in der Runde wird ein vergleichbares
Beispiel aus der eigenen Familie herangezogen: „das erinnertmich an unsren
Vater.[…]dieses(nachahmend) ‚Ja,dawirdschonwassein,dafindenwirschon
wasdran‘.“ (B4,Z. 2552–2557)
Resümee
Bislang durchgeführte Studien, sowurde in der Einleitung dieses Beitrags aus
einemForschungsüberblickzitiert,kommenzudemErgebnis,dasssichface-to-
face Lesegruppen „nicht selten auch bewusst von akademischenZugängen zur
Literatur ab[grenzen]“unddass sicheineLesegruppe „weniger anästhetischen
Kriterien als vielmehr andenpersönlichenErfahrungenderTeilnehmer orien-
tiert“.63DieseskizzenhaftgezeichneteGegenüberstellungderBegriffeverrätnur
wenigüberdiedamitverbundenenDefinitionenundKonzepte,primärauffällig
ist die theoretisch-diskursive Trennung, die die Verwendung der Kategorien
impliziert. Offenbar ist ein „ästhetisches Kriterium“ etwas anderes als eine
63 Knipp2017, S. 178.
LiterarischeWertungen imVergleich 163
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Title
- Über Bücher reden
- Subtitle
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Author
- Doris Moser
- Editor
- Claudia Dürr
- Publisher
- V&R unipress
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 262
- Category
- Lehrbücher