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1.1. UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND – FRAGESTELLUNG – VORGEHENSWEISE 27
scheint daher sinnvoll, auch deshalb, weil Thun von Zeitgenossen und in der
Historiografie mehrfach das Etikett des ‚Germanisators‘ erhalten hatte.52
Neben der Umsetzung der Reform in der Ära Thun werden auch die län-
gerfristigen Folgen der Reform auf die Entwicklung der Universität Inns-
bruck in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts untersucht. Prägend für
diese Periode waren einerseits die zunehmenden nationalen Konflikte an der
Universität und eine Nationalisierung der Wissenschaft,53 andererseits die
erwähnten Debatten um die Rechte der katholischen Kirche und die Freiheit
der Wissenschaften. Die zentrale These dabei lautet, dass diese beiden Ent-
wicklungen letztlich auch durch die Reform befördert worden sind. In die-
sem Sinn besaß die Orientierung am preußischen Universitätsmodell durch
die Reformen politische Implikationen und führte dazu, dass die Universität
Innsbruck zunehmend als ‚deutsche Universität‘ tituliert worden ist. Da-
mit wurde die Universität, der traditionell eine verbindende Rolle zwischen
dem italienischen und dem deutschen Kulturkreis zugeschrieben worden
war, neu definiert. Die Universität wurde so zu einem Kampfplatz für die
nationalen Konflikte zwischen italienischsprachigen und deutschsprachi-
gen Studenten und Professoren. Neben der zunehmenden ‚Nationalisierung‘
der Universität ergab sich mit dem erwähnten Projekt der Errichtung ei-
ner katholischen Universität in Innsbruck eine teilweise parallel, teilweise
entgegengesetzt verlaufende Diskussion über die Frage des Verhältnisses
von Universität und Religion. Diskurse und vage Konzepte von ‚katholischer
Wissenschaft‘ und ‚deutscher Wissenschaft‘, deren Beziehung zueinander so-
wie deren Instrumentalisierung in der Debatte um die Rolle der Universität
werden hierzu untersucht.
Abgesehen von der zunehmenden nationalistischen Vereinnahmung und
den Debatten um die Wertefreiheit von Wissenschaft gilt die Integration
der Forschung in die Universitäten als eine zentrale Entwicklung des 19.
Jahrhunderts. In diesem Sinne wird in der vorliegenden Arbeit auch danach
gefragt, ob oder inwieweit sich Ansätze eines neuen Wissenschaftsverständ-
nisses in der Ära Thun nachweisen lassen und wenn ja, wie sich diese äu-
ßern. Als Untersuchungsobjekt hierzu wurde die Universitätsbibliothek, als
zentrales Werkzeug der Forschung, gewählt (Kap. 8.).
Die im Zuge der Frauenforschung auch in der Universitätsgeschichte voll-
zogene Einbeziehung der Geschichte des weiblichen Unterrichts und die Ge-
schichte der Frauen in der Wissenschafts- und Universitätsgeschichte sind
für die vorliegende Arbeit von geringerer Relevanz, da etwa das Thema Frau-
52 Vgl. dazu Kapitel 1.3.2.1.
53 Vgl. dazu besonders Mitchell G. Ash/Jan surman (Hgg.), The Nationalization of Scientific
Knowledge in Nineteenth-Century Central Europe, New York 2012.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen