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1.3. DIE THUN’SCHEN REFORMEN IN DER FORSCHUNG 55
für die Universitätsreform zusammengebracht hat, ein wesentliches Ver-
dienst des Ministers.196 Alphons Lhotsky schließlich deutet Thuns Hang, sich
mit einem großen Stab von Beratern zu umgeben, gar als Folge oder Kom-
pensation einer fehlenden Führungsperson in späten Jugendjahren.197
Eine ausgleichende Perspektive, die teilweise zentrale Ansichten von
Lentze vorwegnimmt, sie allerdings nicht mit Quellen untermauert, hatte
wenig später Eduard Sueß198 in seinen Lebenserinnerungen vorgelegt. Sueß
war 1856 von Thun zum außerordentlichen Professor ernannt worden und
stieg in der Folge zu einem der prominentesten Geologen der Zeit auf. Sueß
sagt in seiner Autobiografie unumwunden, dass Thun bei der Umsetzung
der Reformen nicht allein nach wissenschaftlichen Kriterien vorging, son-
dern in weltanschaulich wichtigen Fächern nur streng katholische Profes-
soren berief, jedoch „auf allen politisch oder kirchlich neutralen Gebieten
zeigte sich Thun als ein kraftvoller Organisator und als aufrichtig bestrebt
Forschung und Lehre zu fördern.“199 Auch er attestiert Thun einen radika-
len Wandel in dessen politischen Ansichten (vom Zentralisten während sei-
ner Ministerzeit zum Föderalisten in seiner restlichen politischen Laufbahn
etwa200). Sueß sieht jedoch nicht nur bei Thun, sondern im Bildungswesen
im Allgemeinen zahlreiche Widersprüche, wenn er schreibt: „Fortschritt
in den Hochschulen, Verfall in der Volksschule, dazwischen Kampf in der
Mittelschule.“201 Interessant ist zudem, wie er Thun in seiner Zugehörigkeit
zur Aristokratie charakterisiert – als Adeligen, der wie viele seiner Stan-
desgenossen gefangen in Vorurteilen war, „welche die damalige Erziehung
der jungen Aristokraten mit sich brachte“202. Dass er sich dieser Vorurteile
bewusst gewesen sei und auch Berater akzeptierte, beweise indes den edlen
Charakter Thuns und ermöglichte die „geradezu herkulische“203 Leistung
Thuns. Die knappe Bemerkung von Sueß lässt indes auch die Vorurteile des
aufstrebenden Bildungsbürgertums erahnen, die dieses gegenüber dem Adel
hegte, der noch immer Großteils die Macht in der Verwaltung des Staates
besaß, jedoch aus dieser Position mehr und mehr verdrängt wurde.204
196 Siehe Julius Jung, Julius Ficker (1826–1902). Ein Beitrag zur deutschen Gelehrtenge-
schichte, Innsbruck 1907, S. 306.
197 Siehe LHotsky, Das Ende des Josephinismus, S. 261 und 278.
198 Eduard Sueß (London 1831–1914 Wien), Geologe und Politiker, ab 1857 Prof. für Paläonto-
logie an der Universität Wien, ab 1862 Prof. für Geologie ebendort.
199 suess, Erinnerungen, S. 116.
200 suess, Erinnerungen, S. 122.
201 suess, Erinnerungen, S. 119.
202 suess, Erinnerungen, S. 118.
203 suess, Erinnerungen, S. 110.
204 Vgl. dazu auch Brigitte mazoHL-waLLnig, Der Einfluss Bolzanos und der Bolzanisten auf
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen