Page - 78 - in Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860 - Aufbruch in eine neue Zeit
Image of the Page - 78 -
Text of the Page - 78 -
2 DIE THUN-HOHENSTEIN’SCHEN REFORMEN
78
Viktor Andrian-Werburgs Beschreibungen bieten uns ein farbenpräch-
tiges Bild der vormärzlichen Universitäten und fassen zahlreiche Kritik-
punkte von Zeitgenossen zusammen, wobei er insbesondere die fehlende
Wissenschaftlichkeit der Universitäten und die dumpfe Abrichtung von Stu-
denten sowie deren mangelnden Ehrgeiz nach eigener Bildung kritisiert.
Da ist keine Freiheit der Diskussion und des Gedankens – für jede Wissenschaft
gibt es ein vorgeschriebenes, meistens echt schulmeisterhaftes Lehrbuch, von wel-
chem sich nie und nirgends, nicht einmal durch mündliche Commentarien, entfernt
werden darf [...] Das Gedächtnis des Schülers wird auf Kosten seines Verstandes
gestärkt, sein Kopf mit einer Menge unnützer, unpraktischer Dinge vollgepropft,
daß in demselben kein Raum mehr zum Denken bleibt – sein Charakter, seine
moralische Ausbildung werden gänzlich vernachlässigt, und ihm statt dessen ein
unverdaulicher Religionsunterricht gegeben, der wenig besser ist, als des gottes-
fürchtigen Petri Canisii christkatholischer Katechismus. [...] Daher findet man an
den österreichischen Unterrichtsanstalten wenig oder gar keine Zuhörer, welche
Liebe zur Wissenschaft, Interesse an dem zu Erlernenden dahin rief, beinahe die
Gesammtheit der Anwesenden betrachtet die Studien als ein nothwendiges Uebel,
als ein nicht zu umgehendes Mittel, um dereinst zu jenem Amte, oder eigentlicher,
zu jener Besoldung zu gelangen, welche Jedem von ihnen als das einzige Ziel sei-
ner goldenen Träume in der Ferne vorschwebt [...].23
Für die Universität Innsbruck liefern die Tagebücher und Aufzeichnungen
von Adolf Pichler beredtes Zeugnis von der Wahrnehmung der österreichi-
schen Universitäten:
Der Übergang zur Hochschule hatte damals in Österreich nicht die gleiche Be-
deutung wie in Deutschland. Das philosophische Studium stand nur wenig höher
als das Gymnasium und stellte uns bloß an die Schwelle einiger neuen Gegen-
stände: Der Geometrie, Logik, Psychologie und Metaphysik, die jedoch nur sehr
oberflächlich vorgetragen wurden; die Professoren, wenn sie auch das Bessere
erkannten, durften weder links noch rechts abweichen. Die Universität sollte
uns nur für die verschiedenen praktischen Berufsarten dressieren; man behan-
delte uns nicht als junge Männer, obgleich wir den Titel ‚Herr‘ erhielten, sondern
als halbwüchsige Knaben. Von der akademischen Freiheit war keine Rede.24
schulschriften / European University Studies / Publications Universitaires Européennes v.
5772), Frankfurt 2015, S. 53–68.
23 Viktor andrian-werBurg, Österreich und dessen Zukunft, Hamburg 1843, S. 56–57.
24 Adolf PicHLer, Zu meiner Zeit. Schattenbilder aus der Vergangenheit, München, Leipzig
1905.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen