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2 DIE THUN-HOHENSTEIN’SCHEN REFORMEN
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die Fokussierung auf Berlin im 19. Jahrhundert nicht gegeben. Denn diese
hing gerade auch mit der Konstruktion des ‚Humboldt’schen Modells‘ zusam-
men und war, wie Sylvia Paletschek gezeigt hat, vor allem aus der histori-
schen Perspektive erfolgt: Die Gründung der Friedrich-Wilhelm-Universität
zu Berlin im Jahr 1810 wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend
als Keimzelle einer nationalen Erhebung gedeutet.46 So waren es weniger
organisatorische Neuerungen oder Strukturen, die den wachsenden Ruhm
der Universität begründeten, sondern vielmehr die Idee, die Universitäts-
gründung sei ein wesentlicher Ursprung eines nationalen Aufschwungs
in der bitteren Stunde der Napoleonischen Kriege gewesen sowie die Tat-
sache, dass immer wieder die besten Gelehrten dorthin berufen wurden.47
Außerdem stellten sich mit der Gründung bzw. der Reorganisation der
Universitäten Bonn und Breslau zwei weitere Friedrich-Wilhelm-Uni-
versitäten zumindest dem Namen nach in die Nachfolge der jungen Ber-
liner Universität, womit die Orientierung an einem Modell ausgedrückt
schien.48
Dies im Hinterkopf sowie die Befunde der Quellen vor Augen, in denen
weder die Berliner Universität noch Humboldt erwähnt werden, kann man
also nicht von der Übernahme des Humboldt’schen Modells in Österreich
sprechen. Ebenso wenig werden andere Universitäten konkret genannt,
etwa die Universitäten Halle oder Göttingen, denen aus heutiger Perspek-
tive eine zentrale Rolle bei der Wandlung zur modernen Universität zuge-
sprochen werden muss.49
Vielmehr sprechen die Quellen allgemein von deutschen respektive pro-
testantischen Universitäten. In diesem Sinn soll daher zunächst eine Annä-
herung an das versucht werden, was die Zeitgenossen als deutsche Universi-
täten verstanden und mit dem Reformprogramm in Österreich abgeglichen
werden. So sei zwar auf die ‚Meistertexte‘ wie Kants Streit der Fakultäten50,
46 Vgl. dazu auch PaLetscHek, Die permanente Erfindung einer Tradition, S. 27. Thomas Be-
cker, Diversifizierung eines Modells? Friedrich-Wilhelms-Universitäten 1810, 1811, 1818,
in: Rüdiger vom Bruch (Hg.), Die Berliner Universität im Kontext der deutschen Universi-
tätslandschaft um 1800, um 1860 und um 1910, München 2010, S. 43–69.
47 Vgl. marquardsen, Universitäten; auch bei PaLetscHek, Die permanente Erfindung einer
Tradition, S. 27.
48 Becker, Diversifizierung eines Modells?
49 Vgl. dazu zuletzt Peter JosePHson/Thomas karLsoHn/Johan östLing, Introduction: The
Humboldtian Tradition and Its Transformations, in: Peter Josephson/Thomas Karlsohn/
Johan Östling (Hgg.), The Humboldtian Tradition: origins and legacies, Leiden 2014, S.
1–21, hier S. 4–5, die auch darauf hinweisen, dass Friedrich Paulsen und damit zu einer
Zeit, als der Mythos Humboldt noch nicht seine endgültige Prägung erhalten hatte, stärker
auf diese beiden Universitäten als auf Humboldt und Berlin verwiesen hatte.
50 Immanuel kant, Der Streit der Fakultäten, Köln 1995 (1798); vgl. dazu auch die sehr guten
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen