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2 DIE THUN-HOHENSTEIN’SCHEN REFORMEN
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Mitten in diese halbvermoderten, halbverrotteten Zustände in einem Gebiet,
das bis dahin dem deutschen Universitätsleben, wenn wir von dem Besuch der
österreichischen medicinischen Schulen durch unsere jungen Aerzte absehen,
völlig fremd war, brauste der Sturm des Jahres 1848, [...]. Die Universitäts-
reform bildete eine Hauptaufgabe für die Ministerien der Neuzeit und offen
erkannte man [in Österreich, C.A.] an, daß das Vorbild für die Umgestaltung
in den besten Universitäten Deutschlands gesucht werden müsse.65
Obschon man damit einerseits auch außerhalb von Österreich die Orientie-
rung an den deutschen Universitäten erkannte und die Übernahme zentra-
ler Elemente derselben diagnostizierte, stand für Marquardsen andererseits
fest, dass die Universitäten Österreichs zwar den „hohen Schulen Deutsch-
land bedeutend näher gekommen sind“66, dennoch bestünde noch immer ein
großer Unterschied zwischen den beiden. Diesen erkannte er einerseits im
Einfluss der Kirche und der Beschränkung der Lehr- und Lernfreiheit, an-
dererseits aber in der Unvollständigkeit zahlreicher Universitäten: Denn
in Deutschland besäßen anders als in Österreich nur Universitäten mit al-
len vier Fakultäten den Anspruch auf diesen Titel.67 Ähnlich sah Friedrich
Wagener zwar die grundsätzliche Befreiung der Universitäten durch die
Reform, hob aber gleichzeitig hervor, dass sich die Universitäten in Preu-
ßen und jene in Österreich noch immer voneinander unterscheiden würden,
indem jene eben immer noch den „Charakter einer Confession“68 besäßen.
So begegnet uns auch hier wieder die Frage der Lehrfreiheit, in der es un-
terschiedliche Auffassungen zwischen den deutschen (protestantischen)
und den österreichischen (katholischen) Universitäten gab. Und auch das
Rotteck-Welckersche Lexikon konstatiert: „Jetzt ist es wol [sic!] wieder bes-
ser geworden, noch immer aber herrscht weder für Lehrer noch für Lernende
die akademische Freiheit im vollen deutschen Sinne des Wortes“69.
An dieser Außenperspektive sind vor allem die Betonung der Unter-
schiede und die Abgrenzung von den Universitäten in Österreich ein inte-
ressantes Phänomen, bzw. auch ein geschicktes Mittel, um die Höherwer-
tigkeit des eigenen Universitätswesens betonen zu können und umgekehrt
die Rückständigkeit Österreichs hervorzuheben. Dies ist auch im Hinblick
auf den Dualismus der beiden deutschen Großmächte von Bedeutung. Um-
65 marquardsen, Universitäten, S. 704.
66 marquardsen, Universitäten, S. 704.
67 Vgl. marquardsen, Universitäten, S. 699–700.
68 Friedrich Wilhelm Hermann Wagener (Hg.), Staats- und Gesellschafts-Lexikon. Neues
Conversations-Lexikon in Verbindung mit deutschen Gelehrten und Staatsmännern, Bd.
22, Berlin 1866, S. 68.
69 HeLd, Universität.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen