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5 DIE PERSONALPOLITIK LEO THUNS AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
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die Ungleichzeitigkeiten, die bei der Reform der österreichischen Universi-
täten aufgetreten sind. Während an anderen Universitäten die Lehre der
Naturgeschichte durch nur einen Professor schon 1848 als Anachronismus
erachtet worden war und die Kanzel daher aufgespalten wurde, blieb man in
Innsbruck vorerst bei der überkommenen Form. Dass man dabei mit Joseph
Köhler einen Professor ausgewählt hatte, der damals schon knapp 60 Jahre
alt war, ist insofern ebenfalls als symptomatisch anzusehen. Köhlers Nach-
folger Kerner war dann bereits im neuen Studiensystem sozialisiert worden,
und wenn auch er zwar noch zum Professor der (gesamten) Naturgeschichte
ernannt worden war, so war mit seiner Ernennung de facto die Aufspaltung
der alten Kanzel verbunden. Denn der Botaniker Kerner widmete sich we-
nig überraschend überwiegend botanischer Forschung und Lehre.220 Schon
1863 wurde mit Camill Heller ein Zoologe ernannt221, und nach einem neu-
erlichen Gesuch der philosophischen Fakultät 1867, erhielt schließlich auch
Adolf Pichler die langersehnte Professur („Ein Wendepunkt in meinem Le-
ben: Ich bin zum Professor der Mineralogie und Geologie an der Universität
ernannt“222).
Die Aufspaltung der Kanzel für Naturgeschichte war damals notwendig
geworden, um den Fortschritt, der sich seit Jahren in naturhistorischen Fä-
chern vollzog, auch in Innsbruck Einzug halten zu lassen.223 Der Antrag der
Fakultät hierzu wurde im Übrigen ebenfalls von Ludwig Heufler angeregt:
Er hatte sich damals privat an Kerner gewandt und ihn aufgefordert, ein
solches Gesuch im Ministerium zu deponieren, da die Situation für eine Be-
willigung des Antrags günstig sei und die Kanzel der Naturgeschichte „einer
überwundenen Stufe“224 angehöre. Ob ihn dabei auch das schlechte Gewissen
plagte, ist freilich spekulativ, allerdings glaubte Heufler, damit auch dem
„Gymnasiallehrer Pichler, jene Stelle zu verschaffen, welche schon bei Gele-
genheit der letzten Erledigung der Kanzel der Naturgeschichte das Profes-
sorenkollegium der philosophischen Fakultät in Innsbruck für ihn beantragt
220 Vgl. dazu oBerkofLer et al., Materialien zur Geschichte der naturhistorischen Disziplinen
in Österreich, S. 14–18.
221 Vgl. JanetscHek, Aus der Geschichte der Zoologie in Innsbruck, S. 57–58.
222 PicHLer, Aus Tagebüchern, S. 90.
223 Siehe dazu den Text des Gesuchs bei goLLer et al., Mineralogie und Geologie an der Leo-
pold-Franzens-Universität Innsbruck (1867–1945), S. 41–42. Der Text ist auch deshalb be-
merkenswert, da er den „ungeahnten“ Aufschwung der Naturwissenschaften in den letzten
Dezennien thematisiert und auch davon spricht, dass dieser Aufschwung „in allen unseren
Verhältnissen und Anschauungen“ einen enormen Umschwung eingeleitet habe. Daher sei
„Theilung der Arbeit“ das Programm der Zeit.
224 Heufler an Kerner, Wien 26.02.1867, Nachlass Anton Kerner, 131.33, Schachtel 282, Ar-
chiv der Universität Wien.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen