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5 DIE PERSONALPOLITIK LEO THUNS AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
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Die Berufung von Schenkl war im Grunde eine Nicht-Berufung von Vah-
len und somit in gewisser Weise eine Notlösung, denn eigentlich war Johan-
nes Vahlen der Wunschkandidat Thuns gewesen. Die Ablehnung von Vahlen
verdeutlicht zudem, dass die kleineren/mittleren österreichischen Universi-
täten dem Vergleich mit den kleineren/mittleren preußischen Universitäten
keinesfalls gewachsen waren, wenn nicht außerordentliche Bezüge nach Ös-
terreich lockten.
Die Berufung von Schenkl zeigt außerdem den Einfluss von Hermann Bo-
nitz. Wenngleich im konkreten Fall zwar nicht mit Sicherheit gesagt werden
kann, dass Bonitz direkt auf Thun eingewirkt hat, so hatte er sich zumindest
durch die Zahl seiner Schüler indirekt einen enormen Einfluss gesichert.
Der Briefwechsel zwischen Ficker und Goebel zeigt auch, dass der Einfluss
von Bonitz bei Thun kein Geheimnis war und dass der große Einfluss des
Protestanten Bonitz in katholischen Kreisen ungern gesehen wurde. Kopetz-
kys Einlassungen geben beredtes Zeugnis davon. Auch Goebels Befürchtun-
gen, dass jemand, der nicht der Bonitz’schen oder der Bonner Schule ange-
hörte, nur geringe Chancen in Österreich haben würde, bewahrheiteten sich
im konkreten Fall. Thun war sich zumindest teilweise dieses fragwürdigen
Eindrucks bewusst, wenn er schon 1856 an Schulte schrieb, dass er nicht zu
viele ausländische Kandidaten berufen wolle, um nicht junge österreichische
Philologen zu entmutigen.545
Die Episode, vor allem der Zwist zwischen den beiden Philologen, weist
neuerlich darauf hin, dass die Reform auch einen Generationenwechsel in-
nerhalb der Professorenschaft bedeutete, der nicht ohne Konflikte vonstat-
tenging. Kopetzky hatte noch während des Vormärzes den Aufstieg zum
Professor geschafft und hatte damals, wie ein abgelegter Konkurs zeigt,
durchaus reüssiert.546 Schenkl hingegen entstammte einer neuen Gene-
ration von jungen, wissenschaftlich geschulten und leistungsorientierten
Professoren, in die Thun besondere Hoffnungen bei der Verbesserung des
wissenschaftlichen Lebens und der Ausbildung der Gymnasiallehrer in Ös-
terreich setzte. Den Konflikt verschärfte im konkreten Fall auch die Tat-
sache, dass Kopetzky als strenger Katholik in Schenkl, einem Schüler des
protestantischen Bonitz, einen Vertreter einer anti-katholischen Wissen-
schaft sah, die in Kopetzkys Sichtweise letztlich „Österreich an den Rand
des Verderbens“547 bringen werde. Der Antagonismus zwischen der mit
545 Thun an Schulte, o.O. 19.06.1856, auszugsweise abgedruckt in: Johann Friedrich scHuLte,
Lebenserinnerungen. Mein Wirken als Rechtslehrer, mein Anteil an der Politik in Kirche
und Staat, Gießen 41908, S. 86.
546 Vgl. bei mutH, Karl Libor Kopetzky, S. 8–9.
547 Kopetzky an Rauscher, Innsbruck 30.12.1860, Bischofsakten Rauscher, 1860, Diözesanar-
chiv Wien.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen