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5 DIE PERSONALPOLITIK LEO THUNS AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
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Wie bei anderen Personalentscheidungen zeigt sich auch in diesem Fall,
dass der aktive Part beim Ministerium lag und nicht bei der Universität.
1851 hatte man die Universität zwar noch um einen Vorschlag gebeten und
achtete damit das verbriefte Vorschlagsrecht der Universität. Im Vorfeld der
Ernennung von Zingerle war die Universität aber gar nicht mehr informiert
worden und das Ministerium suchte sich selbst einen geeigneten Kandida-
ten aus. Außerdem verdeutlicht die Wahl Zingerles, dass Thun durchaus be-
strebt war, Literaturwissenschaftler zu berufen und nicht begabte Literaten
und Dichter.717
Abschließend kann noch einmal eine Brücke zu Adolf Pichler geschla-
gen werden, denn diesen hatte gerade das intransparente Vorgehen bei der
Besetzung – neben der persönlichen Kränkung, die er durch seine Zurück-
setzung erfahren hatte – vergrämt. Er klagte daher, nachdem er 1860 ein
drittes Mal nicht zum Zug gekommen war, damals allerdings nach einem of-
fiziellen Berufungsverfahren, dem ebenfalls abgewiesenen Thaler sein Leid:
Es ist das drittemal, daß ich an der Innsbrucker Universität suppliere. Als
die Kanzel der Philosophie und deutschen Literatur zu besetzen war, und sie
ohne vorausgegangene Ausschreibung an Wildauer und Zingerle, von denen
der erstere in der Philosophie absolut nichts geleistet hatte, verliehen. Die
Kanzel der Naturgeschichte wurde ausgeschrieben, obwohl mich die hiesige
Fakultät an erster Stelle vorschlug, wurde doch Kerner, der als der zweite
vorgeschlagen wurde, ernannt. H. Kerner718 war von H. L. v. Heufler719, den
Sie vielleicht kennen, protegiert.720
Pichler vergaß diese Kränkung nie, wie Gerhard Oberkofler und Peter
Goller meinen, und revanchierte sich für seine Zurücksetzung hinter Zin-
gerle, indem er nach dessen Emeritierung die gewünschte Ernennung von
Zingerles Sohn Oswald721 als seinen Nachfolger sabotierte und hinter den
717 Vgl. dazu surman, Leon (sic!) Thun in der polnischen Historiographie: zur Tradition der Ge-
schichte. Als Ausnahme davon kann Oskar Redwitz in Wien gelten, der auf den Lehrstuhl
für deutsche Sprache in Wien berufen worden ist. Allerdings hatte Redwitz sein Amt rasch
aufgegeben, nachdem sich seine wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Lehrstuhl mit seinem
literarischen Schaffen nicht vereinbaren ließ. Dies könnte auch für Thun eine Warnung
gewesen sein.
718 Anton Kerner von Marilaun, siehe Kapitel 5.5.3.
719 Ludwig Heufler (1817–1885), damals Sektionsrat im MCU.
720 Pichler an Thaler, Innsbruck 21.03.1861, 90344, Wienbibliothek, Handschriftenabteilung.
Mit einer ähnlichen Klage auch Pichler an Thaler, o.O. o.D. [1861], 50352, Wienbibliothek,
Handschriftenabteilung.
721 Oswald Zingerle (Innsbruck 1855–1927 Innsbruck), Germanist, 1894–1918 Prof. für Ger-
manistik an der Universität Czernowitz.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen