Page - 324 - in Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860 - Aufbruch in eine neue Zeit
Image of the Page - 324 -
Text of the Page - 324 -
5 DIE PERSONALPOLITIK LEO THUNS AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
324
Interessant ist dabei – neben dem Argument Wildauers, den Juristen auch
eine philosophische Bildung anheim kommen zu lassen (und damit wohl
auch den Wegfall der bis wenige Jahre zuvor bestehenden alten philosophi-
schen Fakultät zu kompensieren) – insbesondere Wildauers Geringschät-
zung der bis 1848 dominierenden Rechtslehre in Österreich. Aus seiner Sicht
führte eine am Naturrecht inspirierte Rechtsauffassung zu Unsicherheit
und zu Relativismus bei den Studenten. Der Relativismus würde aber seiner
Ansicht nach die traditionelle Ordnung und das göttliche Recht zerstören,
von Wildauer als Kenner der griechischen Philosophie hier mit Themis,779
der griechischen Gottheit der traditionellen Ordnung, bezeichnet. Wildauer
hoffte wohl auch, durch eine gezielt gesteuerte Lehre der Rechtsphilosophie
diesem Relativismus gegensteuern zu können, auch indem er sich an den
Lehren seines Mentors Georg Schenach orientierte.780
Thun musste eine solche Absicht zwar zusagen, denn er bevorzugte ohne-
hin die historische Perspektive der Rechtswissenschaft und hatte die Rechts-
philosophie aus den relevanten Fächern der Staatsprüfungen entfernt, den-
noch ging er in seinem Vortrag781 an den Kaiser nicht auf den Vorschlag der
Fakultät ein. Ob Fessler bei Thun in der Angelegenheit vorgesprochen hat,
ist im Übrigen nicht zu eruieren. Noch dazu setzte Thun sich über die von
der Fakultät eingesandte Terna hinweg und schlug den drittgereihten Au-
gust Geyer dem Kaiser als Kandidaten für die Besetzung der Stelle vor. Dem
Kaiser gegenüber erklärte er diesen Schritt damit, dass er die Argumente
der Fakultät zwar schätze, er jedoch einen anderen Schwerpunkt setze als
das Innsbrucker Kollegium:
Dasselbe legt nämlich das entscheidende Gewicht auf die praktische Ausbil-
dung im Gebiete des österreichischen Strafrechtes, während ich für die Profes-
sur das Hauptgewicht auf die Befähigung zu wissenschaftlicher Behandlung
des bezüglichen Lehrfaches legen muss.782
Denn während die philosophische Fakultät in dieser Hinsicht bereits in der
Vergangenheit versorgt worden war, benötige „die rechts- und staatswis-
senschaftliche Fakultät dieser Universität einen Zuwachs wissenschaftlich
strebsamer Männer dringend.“783 In dieser Hinsicht musste Thun Geyer den
779 Vgl. dazu Lutz käPPeL, Themis, in: Der Neue Pauly, Bd. 12/1, Stuttgart, Weimar 2002.
780 Vgl. Wildauer an Fessler, Innsbruck 04.02.1860, Nachlass Fessler 8, Diözesanarchiv St.
Pölten.
781 Der Vortrag ist zum Großteil abgedruckt bei oBerkofLer, August Geyers Berufung nach
Innsbruck (1860), S. 130–131.
782 Majestätsvortrag, Wien 08.04.1860, MCU Präs. 5962/1860, Österreichisches Staatsarchiv,
Allgemeines Verwaltungsarchiv.
783 Ebenda.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen