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6 DIE EINRICHTUNG DER THEOLOGISCHEN FAKULTÄT IM JAHR
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als bei Moy und verdeutlicht damit erneut, welche unterschiedlichen Vor-
stellungen und Implikationen sich hinter dem Begriff der ‚katholischen Uni-
versität‘ verbergen konnten. Denn wenn Ficker dem Minister dazu riet, die
Innsbrucker Universität nicht, wie es das mehrfach erwähnte Gerücht be-
sagte, nach Salzburg zu verlegen, dann trieb ihn einerseits ein persönliches
Interesse an, andererseits war es der Wunsch, dass in Österreich eine Uni-
versität geschaffen werde, die besonders auch für katholische Studenten aus
dem Süden und dem Westen Deutschlands attraktiv wäre:
Für den Gesammtstaat würde Innsbruck allerdings immer eine unbequem ge-
legene Universität bleiben und die bloße Rücksicht auf ein einzelnes Kronland
dürfte kaum genügen, eine Erweiterung, so wünschenswerth sie immer sein
möchte, als nothwendig erscheinen zu lassen, aber ich glaubte immer von dem
Gedanken ausgehen zu müssen, daß Oesterreich sowohl, wie dem Katholi-
zismus gleich sehr daran liegen dürfte, wenn eine Hochschule bestände, die
geeignet wäre, den Einfluß auszugleichen, den Preußen und der Protestantis-
mus offenbar dadurch gewinnen, daß auch von den katholischen Studirenden
des westlichen Deutschland die meisten ihre Bildung auf protestantischen
Hochschulen suchen, da Freiburg unbedeutend ist, Würzburg fast nur von
fremden Medizinern gesucht wird, und auch die Verhältnisse Münchens, das
noch wohl am meisten von norddeutschen Katholiken besucht wird, nicht al-
len Wünschen entsprechen dürften.130
Fickers Vorstellungen speisten sich dabei besonders aus den Erfahrungen an
seiner Heimatuniversität Bonn, wo konfessionelle Spannungen den Betrieb
der Universität massiv beeinflussten, und anderen preußischen Universitä-
ten, an denen katholische Studenten nach Abschluss des Studiums oft nur ge-
ringe Aussichten auf eine akademische Karriere besaßen.131 Ähnlich äußerte
sich Ficker auch in einem Zeitungsartikel im Jahr 1858:
Stark in’s Gewicht fallen dürfte dann auch der Umstand, daß Innsbruck eine
durchaus katholische Universität ist. Man kann sehr verschiedener Meinung
über den Werth einer Berücksichtigung der konfessionellen Interessen bei
Besetzung mancher Lehrstühle sein, wird es aber wenigstens gegenüber der
130 Ficker an Thun, Innsbruck 19.09.1856, Nachlass Leo Thun-Hohenstein, A3 XXI D387,
Staatliches Gebietsarchiv Leitmeritz, Zweigstelle Tetschen-Bodenbach.
131 Das ist eines der bekanntesten Motive bei den Klagen von Katholiken. Allerdings fehlen
bis heute verlässliche Untersuchungen zum Ausmaß dieses Vorwurfs. Vgl. auch kLöcker,
Katholizismus und Bildungsbürgertum. Inwieweit dies also ein Alibi-Argument war, das
zur katholischen Selbstvergewisserung diente, muss daher offen bleiben.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Title
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Subtitle
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Author
- Christof Aichner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 512
- Keywords
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen