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Die Sölkcr- und die Murthaler-Alpen. HI
Eilen wir zur Erquickung wieder einmal dem Alpcnfriedcn zu. Heimweh nach den Höhen! Den Athem
Gottes und die Herrlichkeit mit vollen Zügen genießen — das ist Leben. Von Iudcnburg durch eine Waldschlucht
aufwärts und über Bergrücken kommen wir durch eine mehrstündige Wanderung zu dem höchstgclegenen Pfarrdörfchcn
Steicrmarks, St. Wolfgang, 's ist eigentlich ein trauriger Weg dahin. Als ich ihn vor Jahren das erstemal
ging, begegnete mir ein Weib, das mit trägen Geberdcn Steine schlug. Ich fragte sie nach dem Wolfgangcr Weg.
Keine Antwort; das Weib glotzte nur und schlug weiter. Bald darauf trottete die Straße herein ein Knabe mit
mächtigem Kröpf. ,,Du Kleiner, grüß dich Gott, geht's da recht nach Wolfgang?" Der Junge sah mich verblüfft
an, dann kletterte er stöhnend über den Wegram nnd floh davon. Ich ging nachdenklich weiter über grüne Matten
und rauschende Schluchten. Da holperte wieder ein Weib des Weges, ebenfalls mit einem stattlichen Halsauswuchs.
Ich hatte es schou von Weitein schnaufen gehört. Das fragte ich auch nach dem Wege. Wohl eine Antwort, aber
Vlick auf «nittelfeld.
ich verstand fic nicht. Es war ein Gegurgel, als wäre dem Wesen die Zunge an den Gaumen gewachsen. Nicht
lange blieb ich stehen bei diesem Ebcnbildc Gottes. Es grub in meinem Herzen. Warum in einem so schönen
Lande so elende Menschen? Der Boden, das Wasser, das Klima, sagt man, sei Ursache der Cretins; die Eltern,
Erzieher, der Staat walzen dadurch so bequem die Schuld von sich ab. — Trotz der vielen Menschen, die mir
begegneten auf jenem abendlichen Gange, habe ich mich doch unendlich einsam und verlassen gefühlt. — Zum Glücke
gibt es doch nur wenige Thalstriche in Steiermart, wo ein solcher Mißwachs des Menschen vorkommt; im Allgemeinen
sind die Stcirer schöne, gesunde Gestalten; der Oberstcircr ist mehr stämmig, kernig und heiter aufgeweckt; der
Unterländer — der Wende — schlank, zart, aber leidenschaftlichen Temperaments. Im Untcrlandc gibt es viel Mord
nnd Tudtschlag, wobei wohl häufig der zündende Wcndcnwcin Anstifter sein mag; die berühmte steirischc Gemüthlichkeit
rcuräscntirt nur der Oberländer, der Aeluler.
Nach dieser kleinen Darlegung fahre ich fort. Wir gelangen zu dem alpcnfriedlichen Dörfchen, das hoch auf dem
Berge liegt, am Saume der 7578 Fuß hohen Zirbitz. Ein Pfarrhans, wo wir einkehren und wo der Pfarrer seine
Gäste selbst bedient. Der leutselige Herr setzt sich zu nns, raucht seine Pfeife nnd plandert. Er hat die Menschen gerne.
Sein Vorfahre war gar menfchenschcn, der konnte nicht predigen, wenn er einen Fremden in der Kirche sah, und
kam des Weges einmal ein Tourist heran, so lief er davon und hüpfte über alle Zäune. So kann man werden
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Unser Vaterland
Steiermark und Kärnten
- Title
- Unser Vaterland
- Subtitle
- Steiermark und Kärnten
- Authors
- Peter.K. Rosegger
- Fritz Pichler
- A. von Rauschenfels
- Publisher
- Gebrüder Kröner
- Location
- Stuttgart
- Date
- 1877
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 28.1 x 42.23 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Wandern
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918