Page - 101 - in Venus im Pelz
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Diese Zeilen ĂĽbergebe ich der Mohrin und eile dann, so rasch ich nur kann,
davon. Atemlos erreiche ich den Bahnhof, da fĂĽhle ich einen heftigen Stich
im Herzen- ich halte – ich beginne zu weinen – Oh! es ist schmachvoll – ich
will fliehen und kann nicht. Ich kehre um – wohin? – zu ihr – die ich
verabscheue und anbete zu gleicher Zeit.
Wieder besinne ich mich. Ich kann nicht zurĂĽck. Ich darf nicht zurĂĽck.
Wie soll ich aber Florenz verlassen? Mir fällt ein, daß ich ja kein Geld
habe, keinen Groschen. Nun also zu FuĂź, ehrlich betteln ist besser, als das
Brot einer Kurtisane essen.
Aber ich kann ja nicht fort.
Sie hat mein Wort, mein Ehrenwort. Ich muĂź zurĂĽck. Vielleicht entbindet
sie mich dessen.
Nach einigen raschen Schritten bleibe ich wieder stehen.
Sie hat mein Ehrenwort, meinen Schwur, daĂź ich ihr Sklave bin, solange
sie es will, solange sie mir nicht selbst die Freiheit schenkt; aber ich kann
mich ja töten.
Ich gehe durch die Cascine an den Arno hinab, ganz hinab, wo sein gelbes
Wasser eintönig plätschernd ein paar verlorene Weiden bespült – dort sitze ich
und schließe meine Rechnung mit dem Dasein ab – ich lasse mein ganzes
Leben an mir vorüberziehen und finde es recht erbärmlich, einzelne Freuden,
unendlich viel Gleichgültiges und Wertloses, dazwischen reich gesäte
Schmerzen, Leiden, Beängstigungen, Enttäuschungen, gescheiterte
Hoffnungen, Gram, Sorge und Trauer.
Ich dachte an meine Mutter, die ich so sehr geliebt und an entsetzlicher
Krankheit dahinsiechen sah, an meinen Bruder, der voll AnsprĂĽche auf GenuĂź
und GlĂĽck in der BlĂĽte seiner Jugend starb, ohne nur seine Lippen an den
Becher des Lebens gesetzt zu haben – ich dachte an meine tote Amme, die
Spielgenossen meiner Kindheit, die Freunde, welche mit mir gestrebt und
gelernt, sie alle, welche die kalte, tote, gleichgĂĽltige Erde deckt; ich dachte an
meinen Turteltäuber, der nicht selten mir, statt seinem Weibchen, gurrend
Verbeugungen machte – alles Staub zum Staube zurückgekehrt.
Ich lachte laut auf und gleite in das Wasser – im selben Augenblicke aber
halte ich mich an einer Weidenrute fest, die über den gelben Wellen hängt –
und ich sehe das Weib, das mich elend gemacht hat, vor mir, sie schwebt ĂĽber
dem Wasserspiegel, von der Sonne durchleuchtet, als wäre sie durchsichtig,
rote Flammen um Haupt und Nacken, und wendet mir ihr Antlitz zu und
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Venus im Pelz
- Title
- Venus im Pelz
- Author
- Leopold Von Sacher-Masoch
- Date
- 1901
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Novelle, Liebe
- Categories
- Weiteres Belletristik