Page - 63 - in Der österreichische Werbefilm - Die Genese eines Genres von seinen Anfängen bis 1938
Image of the Page - 63 -
Text of the Page - 63 -
dieWand,wobereitsandereZettelabgeheftetwurden.Die rechts imBildgruppierte
Kundschaft stimmt demHändler nickend zu,während die junge Fraumit gesenk-
tem Kopf das Geschäft verlässt. Vor dem Ladenwarten Kundinnen. Die im leicht
schiefenWinkel ausgerichtete Kameraposition vermittelt den Eindruck einer bild-
lichnichtmehr fassbarennochgrößerenMenge von inder Schlange verweilenden
Personen.RechtsandenBildrandgedrängtstehtderKompagnondesMädchens.
Die engagierte Frau tritt aus demLadenund verweistmit einer Geste der Ent-
täuschung (siehebt ihre leerenHände leichtan)aufdenMisserfolg ihresUnterneh-
mens. Entschlossen greift der Pfadfinder in einen kleinen Behälter und entnimmt
etwas nicht offen Sichtbares. Er tritt vor die wartende Menge und demonstriert
seineEntschlusskraft, eheerdasGeschäftslokalbetritt.
Der Greißler befindet sich soeben in einem Streitgespräch mit seiner Kund-
schaft, als der jungeMannan ihnmit einemWunschherantritt.Während sichder
Ladenbesitzer demRegal zuwendet, steckt ihm der Pfadfinder etwas nicht visuell
Fassbares zwischenKragenundHals. Der Geschäftsbetreiber reibt sich amHinter-
kopf und steht nun als zentraler Fixpunkt der Handlung in der Bildmitte. Sein
Wesen ändert sich sichtlich, zuvorkommend und freundlich bedient er nun seine
Kundinnen.
Jetztbetritt einPostbotedasLokalundwirdvomPfadfinderperBlickundKopf-
bewegung zurÜbergabe einesKriegsanleiheformulars bewegt. DerKaufmann setzt
seine Brille auf, küsst frohgemut eine eben erst eingetroffene Postkarte und füllt
nun entschlossen die Anmeldung zur Zeichnung der siebenten Kriegsanleihe
aus. 10.000Kronen ist er bereit zu investieren. Er übergibt das Papier dem jungen
Mann, der begeistert aus dem Laden stürmt, seine Gefährtin freudig umarmt und
das Formular triumphierend der vor demGeschäft wartenden Kundschaft präsen-
tiert. Das Paar verlässt die Szenerie, der Greißler eilt vor das Geschäftslokal. Hier
endet das Fragment. DerweitereVerlauf des Plots bleibt offen. Der Titel des Films
istungeklärt.282
Die inhaltliche und szenischeGestaltung geben aber Einblick in eine offenbar
oftmals gepflogeneGrundkonzeption:Derunwillige, griesgrämigePrototypdesÖs-
terreichers, vielleicht nochmehr desWieners, wird persifliert. In Volksmaniercha-
rakterwerdenStereotypeüberzeichnet, belächelt unddieunwilligenProtagonisten
letztlichbekehrt.DieAlltagssituationbindetweiteBevölkerungskreise (vonderAr-
beiterschaft bis zumKleinunternehmer, von der jungen Frau bis zur Greisin) ein,
ermöglicht eineWiedererkennung von Selbsterlebtemundbietet so einen Identifi-
kationsrahmen.DieeinzigeGroßaufnahmedesFragments lässtdieZielrichtungdes
Werbefilms klar erkennen: Die siebente Kriegsanleihe liegt auf und ist eifrig zu
zeichnen.
282 Die Titel DER GEWISSENSWURM und DER GEIZIGE HANNES würden sich aufgrund des Inhalts des
Fragmentsanbieten.AngabenüberdenPlotderFilmefehlen jedochgänzlich.
5.2 „DieErfüllungeinerpatriotischenPflicht“ 63
back to the
book Der österreichische Werbefilm - Die Genese eines Genres von seinen Anfängen bis 1938"
Der österreichische Werbefilm
Die Genese eines Genres von seinen Anfängen bis 1938
- Title
- Der österreichische Werbefilm
- Subtitle
- Die Genese eines Genres von seinen Anfängen bis 1938
- Author
- Karin Moser
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-062230-0
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Culture of memory, media history, advertising
- Category
- Kunst und Kultur