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Die AndermĂĽllersche Wien-Vogelschau von 1703 55
unteren (nördlich gelegenen!) Blattrand am Donauufer (heute: Donaukanalufer) situierte
Verbauung an. Dabei sind in Richtung Norden in der Verlängerung der Schlagbrücke
(heute: SchwedenbrĂĽcke) die heutige TaborstraĂźe, etwas weiter nach Westen zu die heu-
tige HollandstraĂźe zu erkennen. Eine Bezugnahme auf die zeitlich weitaus aktuellere Vo-
gelschau des Folbert van Ouden-Allen [auch Alten-Allen] (1635–1715) aus den 1680er
Jahren238, die zudem eine von Hoefnagel völlig abweichende Perspektive einnimmt, lässt
sich dagegen nicht erkennen.
Die AndermĂĽllersche Vogelschau wird zum einen durch Beschriftungen innerhalb der
Darstellung selbst, zum anderen durch eine den Usancen frĂĽhneuzeitlicher kartographi-
scher Werke entsprechende Legende ausführlich erläutert und zum Sprechen gebracht.
Die Legende selbst, die hier am unteren Blattrand unterhalb des in lateinischer und deut-
scher Sprache gebotenen Titels zu stehen kommt, umfasst in grundsätzlich hierarchischer,
im Detail aber immer wieder von diesem Prinzip abweichender Reihenfolge insgesamt
107 Objekte239. Dabei sind bei der Abstimmung zwischen Legende und Plan eine Reihe
von FlĂĽchtigkeitsfehlern festzustellen240, die angesichts des gebotenen Detailreichtums
freilich nicht wirklich ins Gewicht fallen. Die Frage nach dem Realitätsgehalt der Dar-
stellung lässt – so wie dies bei vergleichbaren Werken dieses Genres vom Grundsatz her
ebenso gilt – nur eine differenzierte Antwort zu. Insbesondere bei den zahlreichen Dar-
stellungen nicht benannter, gleichsam anonymer bürgerlicher Häuser lässt sich kaum sa-
gen, ob sie tatsächlich so ausgesehen haben, wie von Andermüller dargestellt. Dennoch
fällt etwa in Bezug auf die Kärntner Straße, die noch auf der Vogelschau des Jacob Hoef-
nagel von 1609 mit ihren giebelseitig der Straße zugewendeten Häusern ein charakteris-
tisch spätmittelalterliches Aussehen besaß241, auf, dass dies ein Jahrhundert später nur
mehr fĂĽr den Bereich zwischen Stephans- bzw. Stock-im-Eisen-Platz und dem Nordende
des Neuen Marktes (heute: Kupferschmiedgasse) gilt. Der Abschnitt von da an bis zur
Stadtmauer ist dagegen schon weitgehend mit traufenseitig zur Straße stehenden Häusern
verbaut.
Hinsichtlich der Kirchen242 sind es zum ĂĽberwiegenden Teil die mit den so typischen
barocken Zwiebelhelmen versehenen KirchtĂĽrme, die das Stadtbild beherrschen. Goti-
sche TĂĽrme dagegen finden sich im Wesentlichen nur mehr bei der BĂĽrgerspitalkirche, bei
St. Michael, St. Stephan und Maria am Gestade. Wie aktuell die Vogelschau im Kontext
der kirchlichen Gebäude ist, erkennt man insbesondere an der Darstellung der Peterskir-
che. In diesem Fall enthält auch der Legendentext mehr als die bloße Namensnennung
des Gotteshauses, wird doch hinzugefĂĽgt: S. Petri Kirch, a(nno) 800 von Carolo m(agno)
erbauet, a(nno) 1701 von kays(er) Leopoldo viel prächtiger aufgeführet. Die Ansicht der Pe-
terskirche bei AndermĂĽller weist in jedem Fall eindeutig barocken Charakter auf, und
weder der noch bei Hoefnagel gut sichtbare Nordturm noch die an den mittelalterlichen
238 Folbert van Alten-Allen, der leider auf die Legende der Vogelschau Hoefnagels mit ihren insgesamt 56
Nummern keinen Bezug nimmt; siehe dazu auch unten Anhang 3, S. 164 Nr. 12.
239 Die Abweichung gegenĂĽber der Zahl im Anhang 2 (umfasst 121 Nummern), unten S. 137, ergibt sich
aus der Aufnahme mehrerer Verweise in diesen Anhang.
240 Auf IrrtĂĽmer im Hinblick auf die Abstimmung zwischen der Legende am unteren Blattrand und den
in der Darstellung selbst angeführten Ziffern bzw. Buchstaben wird in der unten im Anhang 2 (S. 135–161)
gebotenen Liste eingegangen.
241 Auf diesen Umstand hat völlig zu Recht Czeike, Das Wiener Stadtbild 13–44, hier 41f., hingewiesen.
242 Wien ist auf dieser Darstellung eindeutig eine Stadt der Adelspaläste und in zweiter Linie eine Stadt der
Kirchen, doch ist dafĂĽr wohl auch das Auge des Betrachters, des sein Leben lange in Diensten des Hochadels
stehenden Kanzleirats Bernhard Georg AndermĂĽller verantwortlich.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Title
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Authors
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen