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72 Die Transformation des Wiener Stadtbildes in der FrĂŒhen Neuzeit
von 1703, wurden wissenschaftlich erschlossen. All das hat die Kenntnisse betreffs des
Ă€lteren Wiener Stadtbildes ganz maĂgeblich erweitert.
Vor allem mit der hier vorgelegten ErschlieĂung der AndermĂŒllerschen Vogelschau
hat sich im Hinblick auf die Analyse des Wiener Stadtbildes die bislang als schmerzlich
empfundene LĂŒcke zwischen den Vogelschauen des Jacob Hoefnagel und des Joseph Da-
niel Huber zwar nicht schlieĂen, aber doch deutlich verringern lassen. Die Wien-Vo-
gelschau des Folbert van Ouden-Allen (1635â1715)304 aus den 1680er Jahren bildet in
diesem Kontext in jedem Fall eine Ausnahme. Sie entstand als Teil eines umfassenderen
kaiserlichen Auftrags an den aus den Niederlanden stammenden kaiserlichen Kammer-
maler zur PortrÀtierung von insgesamt zehn habsburgischen StÀdten (neben Wien: Graz,
Prag/Praha, PreĂburg/Bratislava, BrĂŒnn/Brno, OlmĂŒtz/Olomouc, Fiume/Rijeka, Görz/
Gorizia, Laibach/Ljubljana und Klagenfurt) aus der Vogelperspektive. Sie weist allerdings
wegen des von der Stadt deutlich abgerĂŒckten Standpunktes des die Stadt portrĂ€tierenden
KĂŒnstlers im Vergleich zu Hoefnagels Vogelschau eine ungleich geringere Detailgenauig-
keit auf305.
Die GegenĂŒberstellung von Hoefnagel und AndermĂŒller macht das AusmaĂ der
Transformation, die das Wiener Stadtbild innerhalb von hundert Jahren erlebte, deutlich.
Dabei geht es nicht um eine durchgehende, den gesamten Baubestand der ummauerten
Stadt erfassende VerÀnderung unter dem PrÀtext einer durchgreifenden, gar völligen Ba-
rockisierung. Es gibt vielmehr durchaus noch eine Reihe von HĂ€userzeilen, fĂŒr die das
(spĂ€t)mittelalterliche âKleidâ, d. h. das giebelseitig zur StraĂe hin ausgerichtete Haus,
weiterhin dominant ist. Besonders auffĂ€llig ist dies etwa im Abschnitt der KĂ€rntner StraĂe
zwischen dem Stock-im-Eisen-Platz und dem Bereich des Neuen Marktes zu erkennen.
Erst im weiter sĂŒdlich davon gelegenen StraĂenverlauf hin zum KĂ€rntner Tor sind es
traufenseitig zur StraĂe ausgerichtete HĂ€user, welche das Bild prĂ€gen. In ganz besonders
eindrĂŒcklicher Weise tritt die barocke Transformation freilich in der gegenĂŒber 1609
ungeheuer stark gestiegenen Zahl von TĂŒrmen hervor, solche von Kirchen inklusive der
Dachreiter, aber auch solche auf adeligen Palais, die nun in weitaus ĂŒberwiegender Zahl
mit dem fĂŒr das Barock so kennzeichnenden Zwiebelhelm bekrönt sind und eben nicht
mehr das spitz zulaufende Dach der Àlteren Epochen tragen. Wiewohl die eingehende
Analyse des AndermĂŒllerschen Werks deutlich zeigt, dass der Dessauer Kanzleirat bei sei-
ner Arbeit nicht immer exakt und prÀzise vorging, somit nicht jeder von ihm dargebotene
Zwiebelturm auch der RealitÀt entsprochen haben muss, die Tendenz bleibt klar und ist
eben fĂŒr den Wandel des Wiener Stadtbildes symptomatisch.
Dieser hier zunÀchst in letztlich unzulÀssiger Verknappung und bloà mit einigen we-
nigen Hinweisen angedeutete Transformationsprozess, den Wien somit im 17. Jahrhun-
dert durchlief, lÀsst sich freilich bei eingehenderer Analyse als Teil eines geradezu sÀkula-
ren Prozesses, der die Jahrhundertgrenze in beide Richtungen hin durchstieĂ, verstehen
und begreifen. Der vorliegenden Stadtgeschichtsforschung zu Wien ist dieser Vorgang
tiefgreifender baulicher VerĂ€nderung alles andere als fremd â und dennoch: Im Regelfall
304 Die Verwendung der niederlÀndischen Schreibweise seines Namens (in der Literatur vielfach: Alten-
Allen) scheint allemal adÀquater.
305 Vgl. die Hinweise bei Folbert van Alten-Allen, sowie unter dem Art. Folbert van Alten-Allen. Wien
Geschichte Wiki. Dasselbe Verdikt ist im Ăbrigen auch auf die von Domenico Cetto 1689 im Auftrag der Stadt
angefertigte Kopie des Alten-Allen-Werks in Form eines ĂlgemĂ€ldes, die allerdings nur die befestigte Stadt ohne
das Umland zeigt, gĂŒltig, vgl. zu diesem Opll, Wiener Stadtansichten 171f.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Title
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Authors
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, EuropÀische Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen