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Die Transformation der städtischen Befestigungen 89
kommt eine gegenüber den älteren Epochen völlig anders gestaltete Überlieferungslage,
liegen doch ab dem 16. Jahrhundert in zunehmender Zahl bildliche Dokumente, seien es
Stadtpläne oder Stadtansichten, vor, die uns ab nun auch einen bildhaften Eindruck von
diesen Transformationsvorgängen überhaupt erst möglich machen398.
Auch im Hinblick auf die Veränderungen des Stadtbildes Wiens durch die Umge-
staltung seiner Befestigungen lassen sich deutlich verschiedene Phasen gegeneinander
abstecken. Schon aufgrund des enormen Finanzierungsaufwandes, der mit dem Befesti-
gungsbau verbunden war – eines Geschehens, das aus der übergeordneten Sicht der kaiser-
lich-habsburgischen Politik ja keinesfalls nur auf Wien beschränkt war, sondern auch im
Bereich der Osmanengrenze399 hohe Aufwendungen nötig machte –, war es nicht möglich,
dieses umfassende Bauprojekt praktisch in einem Zug umzusetzen und fertigzustellen.
Im Gegenteil, es traten immer wieder Stagnationsphasen ein, in denen das Baugesche-
hen praktisch zum Erliegen kam400. Dies hatte nicht nur mit finanziellen Engpässen zu
tun, dies resultierte auch aus dem jeweiligen Ansteigen oder Abschwellen der osmanischen
Bedrohung, der man ja auch mittels diplomatischer Vorkehrungen in Form finanzieller
„Ehrengeschenke“ an die Hohe Pforte zu begegnen pflegte. Vor allem gegen Ende des 16.
Jahrhunderts kam es zu einem massiven Anstieg dieser Bedrohung, als der sogenannte
Lange Türkenkrieg (1593‒1606)401 die Kriegsgefahr wieder bedrohlich nahe an Wien her-
anrĂĽcken lieĂź. Wiewohl die Residenzstadt dann doch nicht wirklich unmittelbar von krie-
gerischen Handlungen betroffen sein sollte, der Fall von Raab/Győr (1594) hatte auch für
die habsburgische Residenzstadt an der Donau die Alarmglocken schrillen lassen.
Als Konsequenz aus dieser Lage wurde gleich nach der Jahrhundertwende damit
begonnen, die zwischen den ab 1530 errichteten Basteien gelegenen Kurtinen – so be-
zeichnete man den eigentlichen Verlauf der Stadtmauer – mittels außerhalb derselben,
im Stadtgraben errichteter Schanzen oder Ravelins besser gegen Angriffe zu schĂĽtzen. Im
Kern handelte es sich bei diesen Außenwerken der städtischen Befestigungen um drei-
oder (häufiger) fünfeckige Anlagen. Ihre Bedeutung lag im Schutz der relativ langen Zwi-
schenmauern (zwischen den Basteien) und dort der in diesen MauerstĂĽcken gelegenen
Tore. Sie wurden somit im Zug der Verstärkung vorhandener Befestigungsanlagen ent-
wickelt und eingesetzt402. Nach ihrer aus dem Italienischen („rivellino“ = „Außenwerk“)
stammenden Bezeichnung403 sind auch hier Auswirkungen der in Italien so frĂĽh und um-
fassend entwickelten Manier des frühneuzeitlichen Festungsbaus zu erkennen. Zunächst
und das Städtelob des Wolfgang Schmeltzl [1500–1557](1547) hinzuweisen; dazu kurz Kratochwill, Lazius
und Knedlik, „Auff Osterreichisch teütsch gericht“.
398 Vgl. dazu die Ăśberlegungen bei Opll, Festungsbau.
399 Wunderbares Beispiel dafür bieten die Darstellungen (Grund- und Aufrisse, Projektpläne) von insge-
samt 50 Plätzen, die sich im Werk der Mailänder Festungsbaumeister und Kartographen aus der Familie Angie-
lini erhalten haben, vgl. dazu Opll–Krause–Sonnlechner, Wien als Festungsstadt 344–457.
400 Wichtige AufschlĂĽsse zur Situation gegen Ende des 16. Jahrhunderts bietet die Arbeit von Nieder-
korn, Befestigungen.
401 Vgl. dazu Niederkorn, Mächte.
402 Vgl. zu den Ravelins die Ausführungen bei Bürger, Architectura militaris, Glossar, 545 (s. v. „Rave-
lin“), sowie bei Büchi, Fortifikationsliteratur, Register, 403 (s. v. „Ravelin“). Im Übrigen ist der Hinweis auf
die Bedeutung der Schriften des großen Festungsbautheoretikers Daniel Specklin (1536‒1589) – zu ihm vgl.
vgl. Fischer, Specklin, und die Ausführungen, ebd. – für den Einsatz von Ravelins differenzierter zu sehen, als
dies im wikipedia-Eintrag (siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Ravelin) dargestellt wird, vgl. BĂĽchi, ebd. 103.
403 In einem Wien-Plan von ca. 1690 (unten Anhang 3, S. 165 Nr. 17) findet sich als Begriff fĂĽr Ravelin
auch das Wort Parmula (vgl. dazu BĂĽrger, Architectura militaris, Glossar, 544), der wohl von der Bezeichnung
fĂĽr den in der antiken Kampftechnik eingesetzten Rundschild herzuleiten ist.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Title
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Authors
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen