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104 Die Transformation des Wiener Stadtbildes in der Frühen Neuzeit
nach dem Ableben Maximilians II. nach und nach wieder rekatholisierten Innenstadt,
sondern eben in den Gotteshäusern der noch länger protestantischen Herrschaften au-
ßerhalb Wiens bei465.
Von einem tatsächlichen Aufschwung des mittelalterlichen Vorstadtgürtels südlich
der Donau, und damit im Osten, Süden und Westen der Kernstadt, kann dann erst für
das folgende Säkulum gesprochen werden. Zunächst waren es von neuem geistliche Ein-
richtungen, denen hier eine Art von Vorreiterrolle zukam. Schon im Jahr 1600 selbst
erfolgte die Gründung des Kapuzinerklosters bei St. Ulrich (Abb. 21)466 unter maßgebli-
cher Förderung durch Ernst Graf von Mollard. Erzherzog Matthias hatte den Grund in
einem Bereich zur Verfügung gestellt, in dem es schon seit dem frühen 13. Jahrhundert
eine Kirche gegeben hatte, die man nach 1529 erst 1589/90 wieder aufgebaut hatte. Die
erste Niederlassung dieser Abspaltung des Franziskanerordens auf Wiener Boden entstand
somit auf durchaus traditionsreichem Boden. Die ab dem zweiten Jahrzehnt des 17. Jahr-
hunderts sich anschließenden weiteren Klostergründungen in den Vorstädten erfolgten
im unmittelbaren Zusammenhang mit den Maßnahmen der Gegenreformation und
wuchsen sich zu einer regelrechten Welle aus, die man als „Klosteroffensive“ zu bezeich-
nen pflegt. Wichtiger Promotor dieser Bewegung war der 1598 gewählte neue Wiener
Bischof Melchior Khlesl (1553‒1630)467, der sein Amt allerdings erst vier Jahre später an-
trat und die Bischofsweihe sogar erst 1614 erhielt. Maßgeblich auf Khlesls Betreiben ging
die Berufung der Barmherzigen Brüder468 durch Kaiser Matthias zurück, die sich 1614 im
Unteren Werd niederließen und ihre Kirche in den 1620er Jahren errichteten. Erstmals
finden sich damit in diesem die gesamte mittelalterliche Epoche hindurch „kirchenleeren
Raum“ geistliche Einrichtungen und Niederlassungen (Abb. 22). Dieses dritte Jahrzehnt
des 17. Jahrhunderts sah dann eine ganze Reihe weiterer Klostergründungen, nicht nur
innerhalb der Stadt469, sondern eben auch in den Vorstädten. Zunächst genehmigte Kaiser
Ferdinand II. den Unbeschuhten Karmeliten nach 1620 die Errichtung einer Niederlas-
sung ebenfalls im Unteren Werd470. Wenig später (1626) wurde den Paulanermönchen471
die entsprechende Erlaubnis erteilt, und mit deren 1627 begonnenem Kirchenbau auf der
Wieden (Abb. 23) entstand nach den Kapuzinern bei St. Ulrich südlich vor der Stadt ein
zweites Kloster. Weiter in Richtung des westlich und nordwestlich vor der Stadt gelegenen
Vorstadtgebietes sind für das folgende Jahrzehnt die vom Kaiser zum Gedenken an die
Schlacht von Lützen (1632) 1633 vorgenommene Gründung des Schwarzspanierklosters
465 An dieser Stelle seien nur einige wenige Hinweise auf maßgebliche Literatur zu Reformation und Ge-
genreformation geboten, darunter das immer noch als Standardwerk anzusehende Werk von Wiedemann,
Reformation und Gegenreformation, die Übersicht bei Reingrabner, Protestanten, sowie – für Wien selbst
– Mecenseffy, Evangelische Kirchen.
466 Exakte Adresse Wien VII, Mechitaristengasse 2, Neustiftgasse 4. Das ehemaligen Kapuzinerkloster
wurde 1805 gemietet worden, die 1810/14 auch die Kirche (des ehemaligen Kapuzinerklosters am Plazl in St.
Ulrich) übernahmen; Art. Mechitaristen und Mechitaristenkirche. Wien Geschichte Wiki.
467 Eine modernen Ansprüchen genügende Biographie von Melchior Khlesl steht aus, vgl. in jedem Fall
den Art. Melchior Khlesl. Wien Geschichte Wiki.
468 Art. Barmherzige Brüder. Wien Geschichte Wiki. Die älteste bekannte Ansicht zeigt der Scolari-Plan von
ca. 1670 (Bonfratelli), siehe unten Anhang 3, S. 164 Nr. 11.
469 Zum Kapuziner-, Ursulinen- und Siebenbüchnerinnenkloster siehe bereits oben S. 78.
470 Art. Karmeliterkirche. Wien Geschichte Wiki. Die älteste bekannte Ansicht zeigt der Scolari-Plan von
ca. 1670 (Scalzi), siehe unten Anhang 3, S. 164 Nr. 11.
471 Art. Paulanerkirche. Wien Geschichte Wiki.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Title
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Authors
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen