Page - 120 - in Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
Image of the Page - 120 -
Text of the Page - 120 -
120 Die Transformation des Wiener Stadtbildes in der FrĂĽhen Neuzeit
Das knapp vor der Ankunft AndermĂĽllers in Wien datierte Plandokument gibt aber
darĂĽber hinaus sogar noch weitere Einblicke in die bauliche Situation der Wiener Vor-
städte. So zeigt sie uns die älteste bekannte Ansicht der alten Tabormaut in Form eines
zweiflĂĽgeligen Komplexes, dessen Innenhof durch zwei Mauern mit Toren abgegrenzt ist
und der hier als Tabor m. bezeichnet wird526. Darüber hinaus – und an erneut anderer
Stelle, nämlich im Süden der Stadt, bietet es mit der Einzeichnung eines mit dem Wort
Andeler bezeichneten Gebäudegrundrisses den Hinweis auf ein zwischen 1679 und 1793
im Besitz der Freiherren von Andler stehendes Objekt (Abb. 38), ĂĽber dessen bauliche
Qualität sich zwar nichts sagen lässt, das aber jedenfalls im Vorstadtgebiet nördlich der
heutigen Mariahilfer StraĂźe einen durchaus ansehnlichen Baukomplex darstellte527. Ge-
rade Reichshofrat Dr. Franz Friedrich Freiherr von Andler (1631–1703) war ja der für die
sachsen-lauenburgische Erbstreitigkeits-Causa zuständige Referent und aus diesem Grund
fĂĽr den Dienstauftrag Bernhard Georg AndermĂĽllers von auĂźerordentlicher Wichtig-
keit528. Andler verfügte auch in der Stadt in der Habsburgergasse (Obere Bräunerstraße)
ĂĽber ein eigenes Haus529, das aber auf der Vogelschau AndermĂĽllers nicht vermerkt ist.
Mit einem nur knappen Ausblick in die weitere Entwicklung der Vorstädte, damit in
Jahre, die nach Andermüllers Wien-Aufenthalt fallen, möge hier das Kapitel abgeschlos-
sen werden. Es soll dabei insbesondere auf weitere Plandokumente aufmerksam gemacht
werden, die einer eingehenden Detailanalyse durchaus noch harren. Bereits vorhin wurde
ja erwähnt, dass die Vorstadtzonen rings um Wien erst mit der Errichtung des Linienwalls
1704 auch in topographischer Hinsicht zu einer fest gefĂĽgten Einheit geworden waren.
Ersten Ausdruck sollte dies mit dem ältesten Plan finden, der diese Zone auch umfas-
send berĂĽcksichtigte, dem Werk von Anguissola und Marinoni (1706). Die Entwicklung
schritt in den folgenden Jahrzehnten in äußerst dynamischer Weise voran, hatte man
doch auch bei der Errichtung des Linienwalls von den damaligen Spitzen der vorstädti-
schen Bebauung nach auĂźen zu entsprechend Raum fĂĽr einen Siedlungsausbau gelassen.
Umfassende, gerade auch kartographische WĂĽrdigung erfuhr diese Entwicklung vor allem
im Werk des Jesuiten Franz Dolfin, der 1734 als Illustration zu seiner Dissertation aus
Anlass der fünfzigjährigen Wiederkehr der Abwehr der Osmanen im Jahre 1683 das Werk
„Lustra decem coronae Viennensis seu suburbia Viennesia ab anno M.DC.LXXXIII. ad
annum M.DCC.XXIII instaurata et ampliata“ in der Druckerei des Johann Peter van
Ghelen, des Verlegers, der 1697 auch die Kopie des Herstal-Plans angefertigt hatte, her-
ausbrachte. Die darin enthaltenen Pläne selbst bieten erstmals auch für die Vorstädte, die
hier deutlich als das eigentlich dynamische Element der damaligen Wiener Stadtentwick-
lung hervorgestrichen werden, die Anwendung der Manier der Vogelschau530.
zu Brauereien und unter braxatores alle dienjenigen verstand, die – unabahängig von ihren sonstigen Berufen
– das Recht hatten, Bier zu Zwecken des Verkaufs zu brauen, vgl. dazu die Hinweise bei Engel, Ausweisung
der Juden 60 und 84f. Anm. 47 und 50, sowie Sowina, Water, Towns and People 116, 291, 362 und 374.
526 Ehemals Wien II, GauĂźplatz; Art. Tabormaut. Wien Geschichte Wiki.
527 Ehemals Wien VII, Neubaugasse 11‒15; Art. Neubaugasse (bei Nummer 11‒15). Wien Geschichte
Wiki.
528 Siehe dazu oben S. 40–47.
529 So im Häuserverzeichnis des Johann Jordan von 1701 (Jordan, Schatz / Schutz / und Schantz 82);
Huber, Analyse der Topographie.
530 Das Werk des Dolfin ist online einsehbar, siehe: https://phaidra.univie.ac.at/detail_object/o:69507?
mode=full; siehe dazu unten Anhang 3, S. 167f. Nr. 22. Im Wien Geschichte Wiki (wie natĂĽrlich auch in
dessen Grundlage, d. h. bei Czeike, Historisches Lexikon Wien) fehlt jeder Hinweis auf dieses Werk und
seinen Autor.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Title
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Authors
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen