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Haydn Michael 442 Daydn Michael
und ihres erlauchten Gemals. Die Kai'
ferin beschenkte den jugendlichen Sanger
mit 42, nach Anderen mit 24 Ducaten
und gestattete ihm, sich außerdem eine
Gnade zu erbitten; M i ch
a e l erbat sich
die folgende: die Hälfte des so eben erhal«
tenen Geschenkes seinem armen Vater
schicken zu dürfen. Es wird dieses Moment
aus dem Leben Michael's deßhalb hier
angeführt, weil diese Kindlichkeit und
dieses Mitgefühl durch's ganze Leben
einen Grundzug seines Charakters bilden.
Schon als Sangerknabe componirte er
und errichtete unter seinen Collegen eine
kleine musikalische Genossenschaft, deren
Vorsitz er führte und strenge alle Plagiate
überwachte. I n diesem letzteren Geschäfte
zeigte er sich als geübter Kenner, denn
sobald er ein Plagiat auffand, spielte er
das Thema, aus dem jenes Plagiat
stammte, sogleich auf dem Clavier. I n
diesem Verschmähen fremder Kunst und
Kraft zeigte sich früh das Bewußtsein
des eigenen Genius, der wirklich nicht
der Stelzen bedürfte, um sich darauf
über Andere zu erheben. Wie wenig
erfolgreich die Lehrjahre Haydn's unter
Reuter's Leitung gewesen, wurde schon
in der Lebensskizze Joseph's bemerkt,
und für Michael hatte Reuter keine
Ausnahme gemacht. Was Michae l
erlernte, hatte er vornehmlich seinem
Talente und seinem Fleiße zu verdanken;
er spielte die Orgel mit solcher Fertigkeit,
daß er öfter für den Organisten bei
St. Stephan eintrat, und da es sich
bald ergab, daß er in seinem Spiele
von keinem Anderen übertreffen wurde,
entstand ein edler Wetteifer unter den
Knaben, wobei Michael stets den
Sieg davon trug. I n seinem Dränge
nach höherer Ausbildung wußte er sich
die besten Muster zu verschaffen, und die
Werke eines Bach, Händel, Graun, Hasse waren es, welche seinen künst.
lerischen Geschmack läuterten und ihn das
Wesen der Kunst in seiner ganzen Tiefe,
so weit es der menschliche Geist vermag,
erkennen ließen. So wurde er nach und
nach ein trefflicher Orgelspieler, der auch
die Violine mit Gewandtheit strich und
dem die Behandlung anderer Instrumente
nicht fremd war. Dabei vernachlässigte er
aber die übrigen Fächer nicht und eignete
sich — im Gegensatze zu unseren heutigen
Musikern, die zum großen Theile über ihr
Instrument hinaus wenig Bescheid wissen
— eine gediegene, ja classische Bildung
an. Die Lateiner waren ihm nicht fremd
und er erquickte sich an ihnen, so lange
er lebte, und unter den deutschen Autoren
zog ihn damals Wieland am meisten an.
Dabei war er eine so durch und durch ryth»
mische Natur, daß es ihm schlechterdings
nicht behagte, mißlungene Texte in Musik
zu setzen; daher es wohl kommen mag,
daß er mit besonderer Vorliebe Kirchen-
stücke componirte, und indem Kenner
seiner Werke sein Talent jenem seines
Bruders nicht nachsetzen lassen, so bczwei»
feln sie doch, ob er eine „Schöpfung"
oder die „Jahreszeiten" hatte zu compo»
niren vermocht, aber nicht etwa aus
musikalischer Schwache, sondern weil ihm
die mit Recht viel getadelten Texte jener
Oratorien (beide von van Swieten)
nicht in jene Stimmung hätten versetzen
können, die ihm sein musikalischer Genius
in wortlosen Phantasien nur zu gerne
gewährte. Sein Bruder Joseph selbst
empfand nicht geringe Pein bei der Com-
position jener Texte und beklagte sich sehr
ernst darüber ^vergl. Dies, S. 438 u.f.
u. 180u. f., und Griesinger, S. 69^>.
Auch trieb Michael mit großer Vorliebe
Geschichte und Erdbeschreibung und erstere
war im vorgerückten Alter seine Lieblings-
lectüre. Als H., weil er als Sängerknabe
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Hartmann-Heyser, Volume 8
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Hartmann-Heyser
- Volume
- 8
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1862
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 514
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon