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Haydu Michael 149 Haydn Michael
Joseph's und Michael's, in der Ersch und
Gruber'schen Encnklopädie, sagt treffend
über die Arbeiten Michael's: „Dieselben
lassen sich von einer doppelten Seite betrachten,
nämlich in Beziehung auf ihren inneren
Werth im Ganzen und Einzelnen oder auf
ihren Nutz en für Kunstbildung überhaupt. In
Hinsicht des ersten Punctes ist zu bemerken,
daß H. von guten Freunden angegangen, wel- j
chen er nicht gern ecwaö abschlug, oft in ungün«
stigcr Stimmung componirte. Nicht selten
mußte er Tertc bearbeiten, die, wenn auch
gerade nicht schlecht, doch auch nicht Stoff
genug für geistigen Schwung enthielten, ohne
welchen so ruhige Naturen, wie die unseres H.,
dat Große, dessen sie dennoch fähig sind, zu leisten
nicht vermögen. Daher oft seine Aeußerung:
„Gebt mir Texte, und verschafft mir die ermun-
ternde fürstliche Hand, wie sie über meinem
Bruder waltet, und ich will nicht hinter ihm ^
bleiben." Oft trat manches lang dauernde harte
Schicksal sowohl in seinen Dienst- als haus«
lichen Verhältnissen ein, und doch sollte und
mußte er arbeiten. Hatte er auch oft ttefflichrs,
ja sogar den geäußerten Wünschen entsprechen-
des geliefert, so fand er doch nur wenig Ermun-
tcrung. Von diesem Mangel an äußerer Anre-
gung mag es gekommen sein. daß seine Instru-
mental-Kompositionen nicht gleichen Werth
haben, wie seine Gesangwerke, obgleich auch
ibnen feste Haltung, stiebender Gesang, hie und
da bedeutender Schwung, gute Behandlung
der Instrumente nicht abzusprechen ist. Ja sie
enthalten einzelne Stellen oon großer Wir-
kung, einen Strom von Begeisterung, welcher
seine große Kraft in den Wendungen und Ver-
flechtungen der Ideen, so wie im kühnen Ein>
greifen derselben ebenso bewährt, al6 auf der
andern Seite der zarteste Erguß de6 Herzens
Milde fühlen läßt. Mehr heimisch sühlte er sich,
wenn rr einen Tert ,zu behandeln hatte, der
daö Gemüth anspracl). Je interessanter die
Ideen, je mehr sie sich dein ewig Wahren,
Guten und Schönen zuwenden, desto besser
seine Bearbeitung, deßwegen, gelang ihm auch
vorzüglich dieheilige M u si k, in welcher or die
tiefen Gefühle seineü warmen Glaubens, seiner
reinen Liebe zu Gott und den Menschen, seiner
unerschütterlichen Hoffnung, kurz seiner tief»
religiösen Begründung ergießen t'onnte. Daher
die bestimmte, würdige, erhabene Sprache, die
alle H.'schen Werke dieser Art auszeichnet und
sich bald in den reinsten, kindlichen Gefühlen
ergießt, die wir in dieser Lauterkeit, man dürfte
sagen, in dieser Verklärun., selten bei einem Tonsel-er der neueren Zeit finden, bald im
Psalmenfluge zum Tbrone des Ewigen sich
erhebt, daher die vortretende Beachtung des
Tcrte5. sowie die oft geringere Beachtung der
Begleitung, überhaupt der Instrumentalpartie,
die er zwar ganz ihrer Natur gemäß behan-
delte (er war selbst ein trefflicher Violinist),
durch welche er der einfachen Färbung der
Tingstimmen Bewegung uno reicheres Leben
verleibt, auch manchen Gedanken mit großer
Wirkling bervortreten läßt. indeß nicbt so
effektvoll, so eingreifend für die Wirkung des
Ganzen zu behandeln und anzuwenden wußte,
als sein großer Bruder. Doch sind auch ein-
zelne Werke von ihm vorhanden, die selbst in
dieser Hinsicht nichts zu ivünschen übrig lassen,
z. B. die treffliche Messe aus (,' mit dein Bcne'
dictus, worin Oäui- mit (.i-iuoll abwechselt,
ein classisches Werk der ersten Art. llebrigens
ließe sich das Mangelnde leicht ergänzen, und
das herrliche Gemälde durch die Instrumen-
talkunst, wie sie in der neuesten Zeit ausge-
bildet ward, ohne Verlust der Eigenthümlich,
keit hervorheben, wie es denn an gelungenen
Versuchen nicht fehlt. Was aber den zweiten
Punct betrifft, nämlich welchen Nutzen das
Studium der H.'schen W erke g ewähre,
so ist es gewiß, daß derjenige, welcher in das
Wesen der Musik eindringen und mit dem
wahrsten Quell des Schaffens vertraut werden
will, besonders in Hinsicht der Gesangsmusik
bei Michael H. unendlich gewinnen müsse,
denn sowohl die Grmwzüge einer würdigen
Kunstsprache, als die in den einzelnen Bear«
beitungcn enthaltenen Anleitungen zur Enc°
faltung derselben können nicht klarer und beleh-
render vorliegen. Ueberall ist tiefgcistige Auffas
sung d, es Ganzen, und ebenso geistvolle Unter-
ordnung des Einzelnen; nirgends gibt rs etwas
Halbgesagtes. Alle Sähe fügen stch bequem und
reihen sich zu einem interessanten und doch
dabei klaren Periodcnbau; und so wie die Idee
im Ganzen und Einzelnen immer mehr hervor-
tritt, so entfallet sich auch oaü Gemüth in seiner
Schönheit und Lebenöfülle. In den besseren
Werken erhebt sich dieß bis zu den trefflichsten
poetischen Bildungen — was hauptsächlich von
seinen religiösen Arbeiten gilt, man betrachte
z. B. nur sein ?»,x voliiä; wenn wir bi^r durch
den Strom der Begeisterung mit fortgerissen
werden, wenn uns der Tonsctzer mit den erba>
bcnsten Gefühlen erfüllt, uns die großartigsten
Anschauungen vorführt, Geist und Herz init
Allgewalt bewegt, so ist nicht zu vergessen, diese
großen Effecte flössen aus seinem kindlichen
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Hartmann-Heyser, Volume 8
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Hartmann-Heyser
- Volume
- 8
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1862
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 514
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon