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Kaunil) 82 Aüunik
der Fürst scharf den Cardmal Migazzi an,
dessen Stirne sich in Runzeln verzog, der aber
nichts erwiderte. Des Fürsten Kaunitz Be-
urtheilung war langsam, aber desto reifer und
daher sein endlicher Ausspruch immer richtig.
„Wenn ich mit Anderen unterhandle, sagte er,
so denke ich mich immer genau in ihre Lage,
und darnach verfahre ich mit ihnen oder gegen
sie." Er sagte oft sehr sinnreiche Sachen, ohne
eben witzig zu sein. oder ein vorzügliches
Wohlgefallen an schönen Geistern und den
Werken der Einbildungskraft zu haben Vol«
taire war freilich einer seiner Lieblingsschrift«
fieller, aber auch an ihm bewunderte er am
meisten den schnellen Gang seiner Ideen, die
mannigfaltigen Combinationen, mit denen er
überrascht, das Eigenthümliche seines glückli«
chen Ausdruckes und die magische Kraft, mit
welcher er sich aus einem Welttheile in den
andern fortzubringen weiß. Rousseau, der
einige Zeit lang in Paris Kaunitzens Secre«
tar gewesen, wurde zwar auch von ihm gele-
sen und geschätzt, aber Vo l taire behielt auch
bei diesem Großen die Oberhand. Seinem
Geschmacke an französischen Theaterstücken
blieb Kaunitz bis an sein Ende tr^u; noch
wcnig? Monate vor seinem Tode ergötzte den
alten erfahrenen Staats» und Weltmann M o^
liöre's Laune und Salz. Alles Bessere, was
für die französische Vühne etwa bis um das
Jahr l730 geschrieben worden ist, hatte er
gelesen; Vieles davon befand sich in seiner
Bibliothek. Die deutsche schöne Literatur kannte
er wcniger, ob er gleich in den neueren Zeiten,
da Wieland der Mittelsmann war, dessen
Schriften ihn aufmerksam machten, viele Auf»
merksamkeit gegen sie bezeigte. So schätzte er
unter andern P l atner'n in Leipzig sehr und
dieser wurde bei seinem Besuche in Wien von
Kaunitz sehr ehrenvoll und unterscheidend
behandelt. Der deutschen Sprache war er
kundig, seine Aussprache war ziemlich frei
von den Eigenheiten Oesterreichs, und lief je
einmal etwas dieser Art mit unter, so kam
es daher, weil er gewöhnlich nur mit Leuten
aus den niederen Classen deutsch zu reden ge»
wohnt war. Die französische Sprache war
seine rechte Hand, und man merkte gar bald,
daß, wenn er'über wissenschaftliche oder histo«
rische Gegenstände deutsch sprach, er etwas
ihm ungewohntes that. und daher das Fran«
zösische oft zu Hilfe nehmen mußte. Ueberhaupt
ließ er sich bei seinem mündlichen Vortrage
Zeit; dafür beobachtete er aber auch immer
5en genauesten Zusammenhang und sagte kein Wort zu viel oder an der unrechten Stelle.
Er sprach französisch, italienisch, deutsch; das
Lateinische las und verstand er; auch war
ihm in seiner Jugend die englische Sprache
nicht fremd Die große Encyklopädie wurde
häusig von ihm gebraucht, um Stoff daraus
für seine gesellschaftlichen Unterhaltungen zu
holen, und besonders um einen Faden zu
haben, an dem er seine und seiner Freunde
Ideen anreihen könnte. Nützliche Erfindungen
aller Art, besonders aus der Mechanik und
allgemeinen Naturlehre, hat er mit großer Theil«
nähme unterstützt und befördert, vieles selbst
versucht. Sein Talent für ausübende Mecha«
nik zeigt sich in allen Anordnungen, er hatte
verschiedene Handwerker in seinen Diensten, er
verstand ihre Arbeiten, gab an, und veran-
laßte manche Einrichtung, Vorkehrung u. s. w..
durch welche alle die Bequemlichkeiten und
Annehmlichkeiten befördert, aber auch die
Bedürfnisse derjenigen vermehrt werden, welche
sich daran gewöhnen. Neue Ideen in der
3and< und Stadt-Wirthschaft, wenn sie wahr»
hafte Vortheile versprachen und auf Erfahrung
gegründet waren, hielt er seiner Aufmerksam«
keit werth und sprach gerne darüber mit
Sachverständigen, Kaunitz hinterließ den
Ruhm, daß er ein entschiedener Freund der
Wissenschaften und der Gelehrten war. Seit
Leibnitzens Zeit, der auf Karl 's VI. Ge«
h?iß an dem Plane einer in Wien zu errich«
tenden Akademie arbeitete, sind dort alle wei»
teren Versuche dieser Art mißlungen; K aunitz
erschuf in den seiner Verwaltung anvertrauten
Provinzen, in den Niederlanden und in der
Lombardic, sehr ansehnliche Akaoemien. Die
meisten fremden Gelehrten von einigem Nuhme,
die nach Wien kamen, zog er an stine Tafel.
Er verpflanzte den verdienstvollen Geschicht«
schrciber der Deutschen, den Würzbnrgischen
Hofrath Schmit nach Wien, und sehte ihn
ganz eigentlich in den Tempel der Muse, der
er sich gewidmet hatte, indem er ihn am Hof«
Archive anstellte, wo derselbe sür die Geschichte
Deutschlands neue und reiche Quellen fand.
Unter seinen Privatvorlesern waren einige auch
als Schriftsteller bekannt, als: Niedel aus
Erfurt; der mit Recht allgemein geschätzte
Pezzl, u. A. Noch entschiedener war sein
Hang für die schönen Künste und die Künstler.
Die vortrefflich eingerichtete Kunstschule zu
Wien ist fast ganz durch ihn geschaffen. Er
trug das meiste dazu bei, daß der so berühmte
Kupferstecher Schmutz er durch Wi l le in
Paris gebildet, und,nach seiner Zurückkunft
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Károlyi-Kiwisch, Volume 11
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Károlyi-Kiwisch
- Volume
- 11
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1864
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon