Page - 160 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Károlyi-Kiwisch, Volume 11
Image of the Page - 160 -
Text of the Page - 160 -
Kemfelen 160 Kempelen
dem Kopfe, bei einem falschen Zuge
schüttelte sie denselben, faßte die unrichtig
gestellte Figur und stellte sie auf das
Feld zurück, auf dem sie vorher gestanden.
Kempelen stand, wahrend der Türke
spielte, entweder neben dem Tische oder
blickte in ein, auf einem entfernten Tische
befindliches Kästchen. Jedem, der es
verlangte, zeigte er das Innere der
Figur, das mit Radern, Hebeln, Spring'
federn u. dgl. m. angefüllt war. Wie
vorauszusehenwar,erregte Kempelen's
Schachfigur allgemeine Bewunderung.
Alles drängte sich hinzu, den Türken zu
sehen. Eine Weile fügte sich K. in die
Rolle, die er sich selbst aufgebürdet, end«
lich aber, da er bei Tag und Nacht keine
Ruhe hatte, beschloß er, sich dieselbe
wieder zu verschaffen. Eines schönen
Tages erfuhr die erstaunte Welt, der
Automat sei vernichtet, die Räder seien
gebrochen und er nicht mehr im Stande
zu spielen. So wurde K. frei und sein
Schachtürke vergessen. Einige Jahre
spater.-als der Großfürst P a u l von
Rußland mit seiner Gemalin unter dem
Namen eines Grafen von Nord Wien
besuchte, wünschte Kaiser Joseph, daß
Kempelen seine Schachfigur vorzeige.
Kempelen gehorchte. Schon in kurzer
Zeit war er im Stande anzuzeigen,
daß sein Türke vollkommen hergestellt
und bereit sei, die Schachpartie aufzu»
nehmen. Der Erfolg war glänzend. K.
wurde fürstlich belohnt und da sich mitt»
lerweile seine Verhältnisse eben nicht zum
Besseren verändert hatten, befolgte er
den Rath seiner Freunde, erbat sich von
Kaiser Joseph einen zweijährigen Ur>
laub und begann seine Wanderung durch
Deutschland, Frankreich und England.
Im Jahre 4783 kam K. mit seinem
Automaten nach Paris und der Erfolg
lieh nichts zu wünschen übrig. Er begab sich nun'über den Canal nach London,
wo es ihm nicht schlechter erging. Fried«
rich I I . , ein leidenschaftlicher Schach«
spieler, der mit V o l t a i r e durch Corre«
spondenz Schach spielte, ließ K. kommen.
Der Schachtürke schlug den König, dessen
Bewunderung durch diese Niederlage stch
nur noch steigerte. Endlich bot er eine
große Summe an, um das Geheinmiß
kennen zu lernen. Der Schleier war
gefallen, der König enttäuscht, aber zu
klug, um es zu zeigen, daß er mystisicirt
worden. Der Schachtürke wurde nun in
einen abgelegenen Winkel des Palastes
gestellt, wo er an die dreißig Jahre hin«
durch ruhte. Erst als Napoleon nach
Berlin kam, erinnerte er sich der Figur
Kempelen's, welche hervorgezogen, in
Stand gesetzt wurde und den Kaiser,
den damals noch unbesiegbaren, besiegte.
Eugen Beauharnais, ein leidenschaft«
licher Schachspieler, ließ den Türken nach
München kommen, der in der Zwischen»
zeit in den Besitz des berühmten Mecha«
nikers Mälz l — wie, ist dem Heraus«
geber nicht bekannt — gelangt war. Der
Schachtürke bewährte seinen alten Ruf.
Veauharnais war so erstaunt, daß
er 30.000 Fr. für die Figur und das
Geheimniß anbot. Er erhielt beides, um
ebenso enttäuscht zu werden, wie Fried«
rich I I . Auf Mälzl 's Antrag, ihm
den Automaten gegen Entrichtung der
Interessen von 30.000 Fr. zu überlassen,
eingehend, begab sich nun Mälz t , nach
Paris, 4819 nach London, wo Robert
Wi l l i s der erste durch Figuren und
Zeichnungen bewies, daß in dem Appa«
rate ein Mensch versteckt sein könne. Im
folgenden Jahre wurde der Automat
nach Amerika gebracht, wo er mittler«
weile auch Whist spielen gelernt hatte.
So war er 43 Jahre in Mälzl 's Be«
sche geblieben, was weiter mit ihm ge«
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Károlyi-Kiwisch, Volume 11
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Károlyi-Kiwisch
- Volume
- 11
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1864
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon