Page - 324 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Károlyi-Kiwisch, Volume 11
Image of the Page - 324 -
Text of the Page - 324 -
Kisfawdy 324 Aisfaludy
gemacht, Andere zu einem ungrischen Petrarca.
Weder jene noch diese haben Recht. Auch
Himfy bat aus seinem eigenen Busen ge<
schöpft, wie Petrarca, und wenn seine Lieder
wirklich an die Disposition der Petrarca'schen
Sonette erinnern, so wird er dadurch nicht
mehr Nachahmer, als jeder Sonettendichter.
Aber ganz unabhängig von ihm konnte er
allerdings auch nicht bleiben, denn auf welches
Herz konnte der Genius des Ersteren tiefer
wirken, als anf das Herz dessen, der ihm so
nahe verwandt war? und wie sollte ihm nicht
unwillkürlich eine oder die andere Wendung,
ein Bild, oder Gedanke von Jenem mit unter-
laufen, ohne daß er es selbst wahrnimmt?
So nahm unbewußt, ja, sogar mit Bewußt«
sein, selbst Petrarca's ohne Zweifel reiche und
schöpferische Seele die Poesien der provenyali-
schen Dichter in sich auf. so setzte er dieselben
fort, so Horaz die der Griechen u. s. w. Doch
gibt es einen Unterschied zwischen dem Ungar
und dem Italiener: Dieser ist nicht bloß
Dichter, sondern der tiefste Gelehrte, der
geistvollste Philosoph seiner Zeit, und wenn
seine Dichtung tiefer, inhaltreicher, abwechseln»
der: so verdankt er dieß — ich wage es offen
auszusprechen — nicht seinem größeren voeti>
schen Genie, sondern seiner Philosophie und
Wissenschaft. Dangen hat Petrarca eine bereits
auf dem Höhepuncte ihrer Schönheit ange-
langte Poesie, Himfy bloß Versuche vorge»
funden, nur gleichsam Zerstreute, fragmenta»
nsche Elemmte, und die ungarische Lyrik hatte
zu ftiner Zeit sich noch nicht einmal eine
äußere Form gebildet. Dieß ist aber viel.
unendlich viel. darum sagt K. selbst in dem
Vorworte zur zweiten Ausgabe des Himfy:
„Wenn Petrarca und Andere vor mir auch
nicht gedichtet hätten, so würde ich dennoch
den Himfy haben schreiben können, und so
vielleicht noch mit größerer Originalität, denn
was in dem Menschen ist, das kömmt auch
aus ihm heraus; aber wenn Gyöngyö si,
Zr iny i , Orczy, Fa lud i . . . vor mir
nicht ungrisch geschrieben hätten, so würde,
und wenn auch drei Petrarca's in meiner Brust
wohnten. Himfy nie geboren worden sein".
So der Magyar Toloy über seinen Lands«
mann. Vernehmen wir nun noch das Urtheil
eines Deutschen. Der Verfasser der Schrift:
„Ungarns Männer der Zeit" schreibt: „A. Kis<
faludy war jedenfalls der erste und künstle«
risch gestimmte Lyriker seines Volkes und
wenn auch heute in seinen Liedern Vieles
schon trivial und längst überholt erscheint, für das ungrische Ohr bleibt ihnen noch immer
ein verführerischer Reiz durch die Melodie der
Sprache. eine Eigenthümlichkeit. die dem
Auslande freilich durch Uebersetzungen nicht
nachfühlbar zu machen ist. Nun wohl trifft
man unter den 400 so berühmten Himfyliedern
" auch auf Bilder, wie z. B. daß der Dichter
sich schildert, am Rande eines Baches sitzend,
aus einer Tabakspfeife mächtig dampfend,
und so sehr in trüber Stimmung verloren,
daß sich der Gedanke einstellt: „Soll" ich gleich
Sappho in's Meer springen?" — Da hört
alle musikalische Macht des Versbaues auf zu
wirken, und der Kitzel hellauf zu lachen über
die „Sappho mit der Meerschaumpfeife" ge<
winnt die Oberhand." — Weiter heißt es
dann noch von Kiöfa ludy: „Die drei
immer bedeutenderen Entwickelungsringe,
welche die ungarische Nationalpoesie in den
sechzig Jahren dieses Saculums zurücklegte,
tragen drei große Namen: Alerander Kisfa»
ludy. Michael Vörö'smarty, Alerander
Petöfi . Kisfalud y, der Wecker, besang
die Vergangenheit, war der Poet des Adels,
besang was in oessm Charakter und Verhält»
nissen einst schön war und suchte zu neuem
Bewußtsein zu entflammen, indem er der „ofsi»
ciellen" Nation durch seine Lieder und besonders
durch die Sagen zurief: „Deine Zukunft liegt
in der Vergangenheit, denn damals warst du
Ungar und mächtig". — Vörööinarty.
der Ansporn er, stand schon um viele
Schritte weiter, er rief nicht bloß dem erbli»
chen, sondrrn dem reformirenden geistigen Adel
ermuthigl'nd und als Prophet zu: „Deine
Größe liegt in der Zukunft, der Ungar war
noch nicht, er wird erst sein!" — enölich Pe»
töf i , der Ungebunoene, wendete sich an's
Ganze, auch an das bis dahin rechtlose Volk
und rief von tausendstimmigem Echo umrauscht:
„Tei nicht bloß Ungar, sondern auch Mensch,
nicht bloß selbst frei, sondern Aller Freiheit
anerkennend". Diesem Zeitaccente nach war
denn auch Kisfa ludy Kunstlyriker, Vörös<
marty rhetorischer Poet. Petöf i Volks-
dichter. In dem einen spiegelle sich die Nemi»
niscenz wieder, im andern der Reformdrang,
im dritten die Emancipation".
VII. Zur Geschichte dcr Familie. Die Familie
der Kisfa ludy führt ihren Ursprung bis
in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück
und sind ein Michael Kisfa ludy, der
1620 lebte, und Susanna Si tkay, die
bekannten Stammeltern der beiden Dichter
Alerander und Karl . Der Vater der bei»
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Károlyi-Kiwisch, Volume 11
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Károlyi-Kiwisch
- Volume
- 11
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1864
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon