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Landesmünn 74 Fandesmann
sich angewiesen, unbefangen die Verhalt-
nisse betrachtete und zu einer reineren
und richtigeren Auffassung kam, als jene,
die mitten im Lärm des Marktes stehend,
allen Stimmen und Stimmungen folg-
ten. Seine seit Jahren fortgeführten
kritischen Aufzeichnungen über österrei»
chische Literatur-Erschewungen in ein
Ganzes zusammenfassend, bereitete er die
Herausgabe deS Buches: „Wiens poetische
schwingen und Federn" (Leipzig 4846, Gru«
now) vor, in dessen Vorrede er im Hin«
blicke auf die Bestrebungen der Wiener
Schriftsteller, dem Staatskanzler Met-,
ternich Censur-Erleichterungen abzu»
ringen, es als innerste Ueberzeugung aus»
sprach, daß die Versuche, Concessionen
von einem System zu verlangen, das
seine alleinige Stärke in seiner unerbitt»
lichen Consequenz hat, auf unbewußter
oder auch bewußter Selbsttäuschung be»
ruhen. Daß bei einem Auftreten in so
geharnischter Weise von einem längeren
Verbleiben innerhalb der Grenzen des
Staates, der diese unerbittliche Consequenz
übte, keine Rede sein konnte, versteht sich
von selbst. Also noch vor dem Erscheinen
der Schrift übersiedelte 3. nach Berlin,
wo bereits sein Bruder ansässig war; um
aber auch seine Familie in Wien den
polizeilichen Nachforschungen nicht aus«
zusetzen, trat er als Pseudonym Hie«
ronymus Lorm auf, welchen er nun
bleibend beibehielt. Selbst in der Wahl
dieses Pseudonyms spiegelt sich L.'s
unfreiwilliges Sichzurückziehen in den
Bann seines eigensten Denkens, seiner
geistbelebten Einsamkeit. Lorm nennt
sich eine der Gestalten in James No-
manen, zu der sich 3. in ungewöhnlicher
Sympathie hingezogen fühlte; Hiero»
nymus aber ist der erste und einzige
Heilige, der über die Einsamkeit schrieb,
deren Kelch bis zur süßen und bitteren Hefe ohne eigenes Verschulden und in so
jungen Jahren zu leeren 3. bestimmt
war. I n Berlin setzte 3. seine kritischen
Arbeiten über deutsche Literatur fort,
welche in der damals, 1847, von Kühne
herausgegebenen Zeitschrift „Europa"
unter dem bescheidenen Collectivtitel:
„Das literarische Dachstübchen" erschie«
nen. Diese Arbeiten fanden in literarischen
Kreisen Anklang und selbst an Antragen
von Buchhändlern, zur Herausgabe der«
selben, fehlte es nicht, jedoch die Ver«
Handlungen darüber zerschlug das Jahr
1848, das plötzlich Kehraus mit der
literarischen Beschäftigung der Nation
machte. Auch das von L. im Jahre
1847 in Berlin geschriebene und bei
dem dortigen Hofbuchhandler Alexander
Duncker unter dem Titel: „Oriitenberger
Aquarelle" (Berlin 1848) erschienene Buch,
worin 3. in seiner frischen Weise in
humoristischer und anekdotischer Form
ein Bild der sittlichen Verderbniß unter
den höheren Standen zeichnete, ging im
Kevolutionsgetöse des 48ger Jahres un>
beachtet vorüber. Im April 1848 —
der Weg in's Vaterland war frei gewor«
den — kehrte 3. nach Wien zurück und
sah, in eigenthümliche Stimmung ver>
setzt, die trotzig erhobenen Gestalten der«
jenigen an, die, als er in freiwillige Ver«
bannung ging, noch so gebückt einher«
geschlichen waren, die, als ihnen die
Schmach deS schimpflichsten Geisteg.
druckes auf ihre Stirnen gekerbt wurde,
kein lautes Wort der Selbstbefreiung
gewagt hatten. I n Wien setzte 3. seine
journalistische Thätigkeit fort und war,
um mit Wilhelm Ch ezy in den „Erinne«
rungen auS seinem 3eben" zu reden, einer
von den Tapfern, welche in der unter Sta«
dion'S Fittigen gegründeten „Presse"
dem demokratischen Wahnwitz die Stirne
boten". Später gab er alles politische
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Laicharding-Lenzi, Volume 14
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Laicharding-Lenzi
- Volume
- 14
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1865
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 550
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon