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Lipiüski 222 Lipnicki
den musikalischen Werth" (!). — Origineller
und in mancher Hinsicht — namentlich durch
die Parallelisirung Lipinski 's und Paga<
nini 's — bezeichnender ist Saphir 's , in
der Zeitschrift „Argus" 1837. S. 333. ent<
haltenes Urtheil über Lipinski 's Spiel:
^Auch auf der Violine", schreibt Saphir ,
„kämpft das Romantische mit dem Classi»
schen. Paganini ist der Repräsentant des
Romantischen, L ip iüsk i der Genius
des Classischen. Bei ihm ist alle jene,
zur echten Weihe der Kunst, unentbehrliche
Ruhe, jene in sich abgeschlossene und reif»
vollendete Ruhe, die ganz allein das Zeichen
und zugleich die Blüthe und Frucht aller
Elasticität, aller inneren Vollendung ist. Bei
Paganin i vergessen wir die Kunst über
den Künstler, bei L ip insk i vergessen wir
den Künstler über die Kunst. Paganini 's
Violine bewundern wir. L ipinski 's Violine
lieben wir. I n Paganini 's Geige ist aller
capnciöse Reiz einer Italienerin; zwischen
den flötenartigen Seufzern der Liebe ertönt
ein wilder Apenninen'Ruf; das zärtlichste
Girren wird von einem gellenden Dämonen«
klang zerrissen; über die glutgefüllten Augen
der Gewährung ziehen sich Gewitterbrauen
mit Bravos bevölkert und unter dem verfüh-
rerischsten Lächeln lauern uenetianische Dolche.
Wir lieben sie mit Angst, bewundern sie mit
Zittern und unter ihren süßesten Verirrun»
gen drückt uns Unheimlichkeit nieder. I n 3i»
pinski's Geige aber ist alle Anmuth, das
ganze bezauberte Gemüthsleben einer schönen
Polin. In ihr Klarheit und Tiefe. rüh.
rende Nationalität. Gediegenheit des Gefühls,
Weichheit, süße, anschmiegende, wohlthuende,
sommerliche Milde und erhebende, auf Kraft»
fülle und Bewußtsein gegründete Kühnheit.
Paganin i hat uns gezeigt, was ein Herr
und Gebieter über die Violine als Sclaoin
vermag, zu welcher Knechtschaft sie sich
herbei läßt. wie sie die härtesten Sclaven-
dienste mit Lust und mit Anstand verrichtet,
wie sie selbst die mißhandelnden Launen und
Capricen ihres Herrn mit gclenken und wun»
derbaren Gliedern vollzieht. Ich habe Paga»
nini nie spielen hören, ohne an die Leib<
eigenschaft der V io l ine zu denken. Li«
pinski hingegen zeigt uns, was ein lieben«
des, fühlendes Herz. ein klarer Geist, ein
kräftiges Gemüth über die V io l ine als
Seelengeliebte, zu welcher süßen Selbst«
aufopferung, zu welcher innigen Empfindung,
zu welcher seligen Stimmung, zu welcher wehmüthigen Rührung und unglaublichen,
zärtlichen Erwiederung sie die Hand der
Liebe zuführen vermag... In L ip insk i
ist die Kunst in ihrer heiligen, angestammten
Unverletzlichkeit, in ihrer legitimen Reinheit,
in ihrer unverkünstelten und unverzehrten
Weihe vor uns erschienen Seine Violine,
ist keine Baguette und kein Trampolinboden,
sein Bogen ist kein Seiltänzer und kein
Klischnigg. Er tritt herein bescheiden, an«
spruchlos, er nimmt sein braunes Liebchen,
die Violine, zur Hand und wie eine empor«
ziehende Sonne über den erwachenden Wald
zieht der Bogen über die Saiten hin. und
die Schlummerer in ihnen alle werden wach.
die Nachtigallen und die tausend Sänger des
Hains und aus dem hölzernen Boden steigen
sie heraus, die geharnischten Töne und die
herzlichsten Klänge, und sie ziehen einher wie
Geister der Liebe, der Wehmuth, der Schmer,
zen und der schmelzenden Lust und bevölkern
unsere Brust und unser Herz mit einer Welt
voll geistiger Wesen und Empfindungen. Er
aber steht anspruchlos da, ein Beschwörer
der Tonwelt, er allein ganz ruhig in dem
magischen Zauberkreise seiner Klänge. Dasist
Lipiüski ." Nun wird es wohl nicht mehr
dünkelhaft von Seite Lipinski 's erscheinen,
wenn er bei den in der obigen Lebensskizze,
angeführten, durch Ränkemachen und Paga
ninische Parasiten bewirkten Demonstrationen
und öffentlichen Parteikunogebungen seine
Erklärung abgab, welche sich auf daS sprich«
wörtliche ^.ued' io zou oittors stützte.
Lipnicki, Johann (griechisch, katholi»
scher Domherr, geb. zu Kamieniec»
Podolsk i 1778, gest. in den letzten
Tagen des December 1838). Nachdem er
im Jahre 18(13 die Priesterweihe erlangt,
war er einige Zeit in der Seelsorge bei
der griechisch-katholischen St. Barbara»
Stadtpfarrkirche in Wien thätig, kam
dann als Stadtpfarrer an die Stauro-
pignianische Kirche nach Lemberg, in
welcher Stellung er 30 Jahre verblieb.
Während dieses halben Jahrhunderts
wirkte er in musterhafter Weise für Kirche
und Schule, förderte vornehmlich die
Waisenschule des griechisch. katholischen
Stauropignianischen Institutes, welche
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Leon-Lomeni, Volume 15
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Leon-Lomeni
- Volume
- 15
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 499
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon