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2t 3 Neftroy
im Olymp der Wiener Theater war
jede Form der Neftroy'schen Satyre
gut genug, auch die zotigste; der gebil«
dete Zuschauer sonderte gar wohl den
Kern der Nestroy'schen witzigen An-
schauung von der oft schmutzigen Schale.
I n der vormärzlichen Zeit hielt er sich,
so gut es thunlich war, von politischen
Anspielungen und Extempores zurück, in
der nachmärzlichen brachte er auch in
dieser Sorte manch bleibender Erinye-
rung Würdiges mit. So sagte er in einer
Aufführung des „Orpheus" im Quai>
Theater (1861) in der Eifersuchtscene,
die Juno dem Jupiter macht, einmal: „ I
werd' mir einen Lagueronniere anschaf«
fen, der eine Broschüre über mein' Un-
schuld schreibt". Ein andermal ertempo«
rirte er ein köstlickes Couplet auf die
berüchtigten Küsse, welche preußische Offi-
ciere auf Louis Napoleon's Hand
gedrückt haben sollen. Darüber entstand
Aufruhr in der diplomatischen Welt. Die
preußische Sternzeitung, die Milchschwe»
ster der anrüchigen Kreuzzeitung, recla»
mirte und Nestroy verfiel anläßlich die-
ser Strophe in eine Geldstrafe. Nestroy
wollte sich rcvangiren. Nun fand im
Jahre 1862 die Krönung deS KönigS von
Preußen Statt, bei welcher der König
die Krone vom Tische deS Herrn nahm,
wie im Jahre 1866 er sie nahm, wo er
sie eben fand. Um diese Zeit wurde im
Carl'Theater Offenbach's „Orpheus"
gegeben. Bekanntlich sitzt Jupiter, den
Nestroy spielte, in dieser Operette auf
dem Throne. Da wird dem Donnergott
der Höllenfürst Pluto angemeldet und
Jupiter will sich zu dessen Empfang mit
dem ganzen Nimbus seines Olymps um»
geben. Als Mercur naht. um ihm die
Krone aufzusetzen, nahm ste Jupiter
Nestroy auS Mercurs Händen und rief
pathetisch: „Hatt, die da setz' ich mir selber auf". Solcher zeitgemäßer drastisch
wirkender Extempores Neftroy'S gibt es
eine große Menge, fie charakterisiren ihn
trefflich und ließen manchen auf der Hut
sein, sich nicht lächerlich zu machen, weil
ihn sonst Schalk Nestroy erbarmungS»
los züchtigte. AlleS in Allem, so wenig
man diesem seltenen Manne nach einer
Seite Dank wissen kann, so ist doch nicht
zu läugnen. daß mit ihm ein urkomisches
Naturell, das sich alle Gestalten der
Wiener Posse Unterthan zu machen ver«
siand und ihnen mit überraschender Kraft
Wahrheit und Leben verlieh, zu Grabe
getragen wurde. Seine Figuren waren
freilich keine concreten Gestalten,- ob
Knieriem oder Jupiter, ob Sansquartier
oder HoloferneS, ob Nazi oder Kampl,
sie waren alle Nef t roy . aber dieser
Neftroy war komischer als alle Gestal«
ten, welche die Phantasie irgend eines
Poffendichters ersinnen mochte. Daher
fand Nestroy auch keine Nachahmer,
wie Raimund deren mehrere und auch
Scholz ihn gefunden; Nestroy machte
keine Schule, daher ist er wahrhaft uner«
setzlich und das Wiener Publicum kann
mit dem Prinzen Heinrich bei Shake«
speare ausrufen: „Ich hätte einen
Besseren besser missen können". — Noch
einige Worte über Nestroy den Men«
schen. Als Schauspieler war er seinen
Collegen gegenüber ein vortrefflicher Ka>
merad. Director Carl hatte bei seinem
Hinscheiden ein omineuseS Andenken hin«
ter(assen, gewiß kein Auge, auch nicht
seine lachenden Erben weinten ihm eine
Thräne nach. Neftroy aber wurde tief
und vom Herzen betrauert und die Gesell»
schaft, die er dirigirt, zählt die Jahre
seiner Leitung zu den unvergeßlichen.
So satyrisch, mißtrauisch, ja mitunter
sonderbar er oft war, er besaß ein treff»
licheS Herz, er sorgte väterlich für sein
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Volume 20
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Nabielak-Odelga
- Volume
- 20
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1869
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 514
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon