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Ucher 229 Netzer
Anderen am 20. Mai 4864). Sein
Vater war Schullehrer und Organist zu
Zams, den das Geschick außer mit
einem reichen Kindersegen mit anderen
Glücksgütern nicht bedacht hat. Die
ersten zehn Jahre der Kindheit ver-
lebte Joseph Neher wie sie eben von
der Mehrzahl der Kinder am Lande, frei
und ungebunden, verlebt werben. Mit.
Lernen war er wenig geplagt, denn seine
Eltern hatten nicht Muße, sich um den
Unterricht ihrer Kinder viel zu bekam-
mern. Der Knabe war daher meist auf
sich selbst angewiesen. Großes Vergnü-
gen gewahrten ihm sonst nur noch die
Stunden, in welchen sein Vater fremden
Kindern Unterricht im Pianoforte er-
theilte. Da kroch er meist unter daS
Instrument und hörte aufmerksam dem
Spiele zu. Und waS ihm in diesen Stun^
den zu Gehör kam, das behielt er auch
im Gedächtnisse und spielte es, ohne eine
Note zu kennen, alsbald ohne viele Mühe
aus der Erinnerung mit großer Geläufig»
keit nach. Auch das Orgelspiel erlernte
er durch Selbststudium. So erreichte er
daS zwölfte Lebensjahr, in welchem es
galt, ihn einem bestimmten Berufe zuzu«
führen. Nach dem Wunsche seines Vaters
sollte er studiren und — Geistlicher
werden. Die Mittel hiezu waren ihm
freilich auf'S Kärgste bemessen. Nur
wenige Gulden in der Reisetasche waren
es, mit denen er das Vaterhaus verließ
und nach Innsbruck wanderte, um da«
selbst seine Studien am Gymnasium zu
beginnen. Er klagte seine Noth reicheren
Schulkameraden. erhielt durch deren
Fürsprache in einigen Hausern unent«
geltlich die MittagSkost. in anderen kleine
Unterstützungen an Geld und Kleidung
und lebte so das wenig beneidenswerthe
Leben eines armen Studenten. Nichts»
destoweniger lernte er lustig sein Latein und hatte zunächst nur die eine Sorge,
Musikunterricht zu erlangen. Es gelang
ihm nach glücklich überstandener Vor»
Prüfung, als Freischüler in die Lehr»
anstalt des Musikvereins aufgenommen
zu werden. Im Clavierspiele war allda
Pater M. Gol ler sein Lehrer, während
er im Violinspiele von Kathrein unter»
richtet wurde. In beiden machte er in
kurzer Zeit große Fortschritte, obgleich
er zum häuslichen Studium wohl eine
Violine, jedoch kein Clavier besaß. Wie
übte sich nun Netze r imClavierspiele? Er
nahm ein Bret. malte mit Tinte die Tasta»
tur darauf und studirte auf diesem Brette
seine Sonaten ein. Bei aller Mühe und
allem Fleiße konnte diese Uebungsart doch
für dieDauernicht genügen. Die Wahrheit
kam an den Tag und hatte zur Folge,
daß Netzer von seinem Lehrer ein Cla«
vier zu Leihe erhielt. Von dieser Stunde
an waren sein Fortschritte auf diesem
Instrumente überraschend. Nach einer
Prüfung, in der er den ersten Preis
errang, eröffnete ihm der Director, daß
er im Mufikvereine nicht weiter unent»
geltlichen Unterricht erhalten könne. Er
wisse genug, um selbst schon Schüler zu"
unterrichten und müsse einen solchen
Unterricht übernehmen, wenn er wünsche,
an der Anstalt den Generalbaß zu lernen.
Netz er willigte ein und so sehen wir ihn
im 43. Lebensjahre bereits als Lehrer an
derselben Anstalt fungiren. der er seine
bisherige musikalische Bildung verdankte.
Mit verdoppeltem Eifer betrieb er nun
seine eigene Ausbildung und lernte Ge»
neralbaß. Seine musikalischen Kenntnisse
verschafften ihm eine angenehme und
lohnende Stellung in den ersten Familien
Innsbrucks, in denen er als Musiklehrer
alsbald sehr gesucht war. Unter solchen
Verhältnissen absolvirte er das Gymna»'
stum und faßte nach Beendigung desselben
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Volume 20
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Nabielak-Odelga
- Volume
- 20
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1869
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 514
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon