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damals achtjährige Mädchen kam nun in
eine Pensionsanstalt. Nachdem sie den
Schmerz der Trennung von der Mutter
überwunden, gefiel sich Marianne in
den neuen Verhältnissen sehr wohl. An
Stelle der im Elternhause vorherrschen«
den Einsamkeit war nun im Kreise junger
Gefährtinen ein regeres bewegteres Leben
getreten, das dem geistig so sehr begab«
ten Mädchen wohl zu behagen schien.
Sie machte auch im Unterrichte gute
Fortschritte und hatte namentlich im
Briefstyle und Aufsah eine ziemliche
Fertigkeit erlangt. Drei Jahre nur blieb
sie in dieser Anstalt, nun kehrte sie in's
Vaterhaus zurück, wo sie unter der
Leitung französischer Gouvernantinen,
die außer ihrer Muttersprache nur wenig
Kenntnisse besaßen, bis in ihr 13. 3e
benSjahr derblieb. Der Vater, des Mäd
chens Neigungen und Bildungstrieb
beobachtend und die Unzulänglichkeit der
bisherigen Weise nur zu bald erkennend,
begriff, daß, um etwas Rechtes zu schaf«
fen, vor allem dem Mädchen die Mutter
nöthig sei. Diese hatte sich nach ihrer Tren»
nung von dem Gatten in ihre Vaterstadt
Oedenburg zurückgezogen. Der Vater
schrieb nun an sie und bat sie, Marian-
nens fernere Leitung zu übernehmen.
So wurden Mutter und Tochter wieder
vereinigt. Aber die vom Geschicke hart
mitgenommene Mutter hatte sich in den
Jahren der Trennung sehr verändert.
Früher schon schweigsam und ernsthaft,
war sie nun menschenscheu, ja düster ge«
worden, wozu sich noch körperliches Lei-
den gesellte. Mit diesen Verhältnissen stand
des damals achtzehnjährigen Mädchens
lebhafter, dabei aber mangelhaft durch»
gebildeter Geist im grellen Widersprüche.
In Gegenständen der Hauswirtschaft
ganz unwissend, glaubte Mariannens
Mutter den Sinn dafür wecken zu müs> sen, und da dieß der vorherrschend geisti«
gen Richtung wegen nicht recht gelang,
wandte sie Strenge an und suchte alles
Geniale, daS sich in der Tochter kund»
gab, gewaltsam zu unterdrücken. Dadurch
wurde das Verhältniß zwischen Mutter
und Tochter bald ein unerquickliches und
wäre für letztere noch trauriger geworden,
wenn ihr nicht daS Geschick zwei Wesen
zugeführt hatte, mit denen sie sich bald
auf das Innigste befreundete, es waren
Dorothea von Conrad'und The»
rese von Artner M . I , S. 73),
welche letztere überdieß durch ihr ent-
schiedenes Talent für die Dichtkunst auf
Mar iannen einen noch nachhaltigeren
Einfluß übte und die begabte Freundin
selbst zu kleineren poetischen Arbeiten
aufmunterte. Aber auch dieses so beseli«
genhe Zusammenleben mit gleichgestimm«
ten Seelen war von sehr kurzer Dauer.
Mariannens Mutter, immer schwer»
müthiger und menschenfeindlicher wer»
dend, hatte den Entschluß gefaßt, den Rest
ihres Lebens in einem Kloster zu beschlie-
ßen, wohin sie wohl auch Mar i an»
n en mitgezogen haben würde, wenn diese,
um dem Klosterleben zu entgehen, nicht
den Antrag eines jungen ungarischen
Edelmanns. Emerich vonEgerväry
— nicht, wie es in der Oesterreichischen
Encyklopädie heißt, Egrovary — der
eben zu dieser Zeit um ihre Hand warb,
nach kurzem Besinnen angenommen
hätte. „Mit vieljährigem Leiden büßte
das junge Madchen diese Täuschung",
sagt ihr Biograph Schindel. Ma»
rianne folgte im Jahre 1785 ihrem
Gatten nach Ungarn auf sein von allem
Weltverkehre abgeschlossenes kleines
Landgut, in eine, Gegend, wo auch noch
kein Schatten von Cultur hingefallen
war. Der Umgang mit einigen gebilde-
teren Verwandten ihres Gatten und der
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Volume 20
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Nabielak-Odelga
- Volume
- 20
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1869
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 514
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon