Page - 335 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Nabielak-Odelga, Volume 20
Image of the Page - 335 -
Text of the Page - 335 -
Membsch 335 Niembsch
Wien, mit der N. zwölf Jahre lang im
zärtlichsten Verkehre gestanden und die
von Vielen als diejenige angesehen wird,
die zum Theile wenigstens die Kata»
strophe im Leben des Dichters herbei»
führen half. Als sich nämlich N. in
Frankfurt verliebte und dann verlobte
— seine Braut war ein unschuldiges
Mädchen — ging er nochmals nach
Wien, um dort von jener Frau Abschied
zu nehmen, und diese habe. schreibt Frau
v. Niendorf , in einer rachegierigen dä-
monischen Prophezeiung zu ihm, der
schon damals in seinem Geistes» und
Nervenleben zerrĂĽttet war, die Worte
gesprochen: „Einer von uns muß wähn»
sinnig werden". Und ihm, dem Armen,
war das Los zugefallen. In dieser
Selbstanklage des Dichters, worauf das
Schicksal ihm in so entsetzlicher Weise
den Bescheid gab, liegt ein wichtiges
Moment zum Verständnisse seines
Unterganges. Jedenfalls das Bedeu«
tendste aber, was ĂĽber die Ursachen von
Lenau's Erkrankung irgendwo gesagt
worden, ist 3. A. Frankl 's Darstellung,
in der jeder Satz schwer wiegt. Indem
Frankl schon in der Leidenschaftlichkeit
des Vaters, die sich selbst aufreibt und
in dem durch eine phantasievolle Mutter
Angezeugten und Empfangenen die ersten
Keime deffen ahnt, was zu einer so
monströsen Frucht sich entwickelte, schreibt
er weiter: „Ein cholerisch-melancholisches
Temperament laĂźt schon den Knaben die
Einsamkeit lieben. Die Spiele des Kna«
ben verrathen eine ernste glühende Ein»
bildungskraft, die sich auf fromm reli»
giöse Anschauung. auf kirchliches Ge>
prange beziehen. Jene Triebe in der
physischen Sphäre werden wach, denen
Knaben verderblich zu huldigen pflegen.
Der Verlust einer leidenschaftlich gelieb,
ten Mutter, an deren langjährigem Krankenbette der edle Sohn als Warter
lebt, bringt in sein ernstes GemĂĽth nun
eine tiefere Stimmung. Der rege Geist,
der ruhelos Befriedigung sucht, schweift
von einer Wissenschaft zur anderen. Nir«
gend scheint sich ihm das Räthsel zu lösen.
Er beginnt starke, melodisch geformte
Fragen an das Leben, an die leblose
Natur, die er vor Allem liebt, vor der
ihm aber doch graut, so oft er sich in sie
versenkt, zu richten. Er schreibt Gedichte.
Die alte Welt widert ihn an. er geht zu
Schiffe, der trostlos grenzenlose Ocean
stimmt sein Herz erhabener, aber auck
einsamer. Sein Ideal ist in der neuen
Welt ist — dießseits nicht zu finden.
Einsame Ritte durch den Urwald ziehen
ihm lang andauernde, heftig quälende
Erkältungen zu. die schwanke See den
Scorbut. Sein Unterleibssystem wird
krankhaft, das Verkehren der natĂĽrlichen
Ordnung, welche die Nacht dem Schlafe,
den Tag der Arbeit, der Bewegung wid»
met, unausgesetztes Forschen niehr mit
der Phantasie als dem klaren Verstande,
erhöhen die vorhandene krankhafte Stirn>
mung. Vorliebe fĂĽr wĂĽrzhafte, fĂĽr feu-
rige Weine. fĂĽr starken Kaffee und
narkotischen Tabak vermindern sie nicht.
Trotz glänzender Erfolge bleibt ein unge»
mefsener Ehrgeiz, trotz großer Anecken»
nnng eine noch größere Selbstschätzung
unbefriedigt. Die Phantasie des Dichters
versenkt sich in die BĂĽcher der Gnostiker.
Die mystische Weltanschauung bemächtigt
sich seiner; dabei eine Vorliebe fĂĽr das
sagenhaft Wilde, das schauerlich Blutige,
ein kühnes Spielen mit dem Dämoni«
schen. All diesem ist durch keine praktische
Thätigkeit, durch keine materielle Lebens»
arbeit ein Gegengewicht geboten. Diese
intensiv feurige Seele, in welcher die
geistigen Anlagen die Kraft des Willens
und des Urtheils beherrschen, hat frĂĽh
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Volume 20
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Nabielak-Odelga
- Volume
- 20
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1869
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 514
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon