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Nissel 369 Nissel
jedem Bezüge, wurde das Losungswort
des jungen strebenden Mannes, und in
diesem Sturm und Dränge, das Unwür
dige und Veraltete von den Piedestalen
der Geltung zu stürzen und neue Ideale
aufzurichten, wurde N. von einem gleich
gesinnten Freunde (Sigmund Schlesin
ger) mächtig unterstützt und angemun<
tert. Nissel und Schlesinger ver>
banden sich bald zur Ausführung gemein»
schaftlicher Arbeiten, war ihnen ja doch
Frankreich im literarischen Compagnie»
Geschäfte mit dem Beispiele längst voran»
gegangen. So hatten die beiden noch min»
derjährigen Freunde — der eine zählte 18,
der andere 17 Jahre — eine Tragödie:
„Nie Inquisitoren" zusammen geschrieben,
in welcher nach des obgenannten Bio-
graphen Ausspruch — denn dieses Werk
hat bis heute nicht das Pult des Dichter,
paares verlassen — mehr gesunder und
billiger Liberalismus pulsirte, als in
allen Producten der Revolutionssymbo»
liker herauszuschälen ist. Dabei ging der
liberale Sturm darin so hoch.daß Grabbe
und Büchner weit überstiegen waren.
Den Antheil des Einen und Anderen
in diesen und den folgenden Jugend-
arbeiten der beiden Freunde mit Be-
stimmtheit zu sondern, möchte schwer
sein, denn ihre freiheitsglühenden vor»
wärtshastenden Ideen hatten die beiden
Schulgenofsen so gegenseitig ausgetauscht,
ihre Bestrebungen so wechselseitig ver-
knüpft, die Arbeiten so gedoppelt, nicht
getheilt, daß es ihnen, wie es in dem
Nissel betreffenden Aufsatze: „Ein
Sisyphus unter den Dichtern" , heißt,
daß es ihnen schon heute unmöglich
wird, nur annähernd anzugeben, an
welchen Theilen der gemeinsamen Ju-
gendarbeiten der Eine mehr partecipirt
als der Andere. UebrigenS hatte Nissäl
als Theaterkind die Bühnenform sozu-
v. Wurzbach, biogr. Lexikon, XX. ^Gedi sagen mit der Muttermilch eingesogen,
da er vom 6. bis zum 13. Jahre
allabendlich sowohl vor als hinter den
Coulissen Einblick gewann. Das vor«
erwähnte Stück: „Die Inquisitoren",
kam, wie es sich aus Tendenz und den
bestehenden Bühnenverhältnifsen errathen
laßt, nicht zur Aufführung, aber es
wmde von Vielen gelesen und „alle
Kenner, die es lasen, wie Laube, Heb-
bel und die competentesten Künstler des
Burgthealers, sprachen, wie uns Gai«
ger versichert, ihr unbeschränktes Lob
aus, und die beiden Jünglinge und ihr
Werk wurden bald so stadtbekannt, als
war's mit ungeheuerem Beifalle über
die Bühne gegangen. Sie wurden in die
glänzendsten künstlerischen und privaten
Kreise gezogen, wobei Nissel stets den
schweigenden Moses und sein Freund
den redenden Aaron machte". Es wurde
länger bei dieser Sturm« und Drang»
Periode N.'s verweilt, weil sie theilweise
die Sonderstellung erklärt, in welche sich
der später Mann gewordene Poet ganz
aus eigenem Willen eingekeilt hat; er ist
der Moses geblieben und Schlesinger
hat die dankbarere Rolle des Aaron
beibehalten. Das nächste Werk, welches
die beiden Freunde zusammen vollende»
ten, hieß: „Mrüss, der Freigelassene", eine
Tragödie, in welcher Mefsaline, das von
der Geschichte an den Pranger gestellte
Weib, rehabilitirt wurde. Wir sehen unsere
beiden Dramaturgen gehen wie echte
Poeten den Zeittendenzen voraus, denn
erst mehrere Jahre später, nachdem
sie beide bereits die verrufenste und
scheußlichste der Hetären des römischen
Kaiserreichs wieder in Ehren eingesetzt,
hatte sich der geistreiche Literaturhistoriker
und Philolog Dr. Adolph Stahr die
gleiche Aufgabe rücksichtlich einiger Un-
geheuer, die den römischen Kaiserthron
, Mai 1869.) 24
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Volume 20
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Nabielak-Odelga
- Volume
- 20
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1869
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 514
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon