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Vffenbach 42 Ojfermann
Vollends auf die Straße gehen, einen Tanz»
saal zu betreten, oder ein Schauspielhaus zu
besuchen — darauf steht immer, wir wollen
nicht sagen Todesstrafe, aber — Offenbach.
Seit die alte Wiener Tanzmusik mit ihren
beiden erfindungsreichen Vertretern (Strauß
und Lanner) zu Grabe gegangen, ist keine
musikalische Richtung aufgetreten, die gleich
der Offenbach'schen in dieser fröhlichen
Stadt zu einer socialen Macht herange«
dirhen. Es gibt in Wien große Gesellschafts»
kreise, in welchen auf ein Haar gedacht und
empfunden wird, wie Offen bach geigt und
Fngt/und daß seine Musik nicht bloß ein
persönliches Werk, sondern eine ästhetische
Richtung darstellt, geht aus der Thatsache
hervor, daß sie Schule macht, indem sie die
Plumpesten Wiener Musikanten zwingt, nach
ihrer Pfeife zu tanzen. Worin steckt das Ge<
heimniß solcher ungewöhnlichen Wirkung?
Turch eine seltsame Verkettung von Umstän-
den ist eine frühere nahezu unberechtigte
Schichte der bürgerlichen Gesellschaft, gleich
dem in der Tiefe gebildeten Treibeis, auf die
Oberfläche derselben gekommen. Daß wir von
dem bekannten orientalischen Wanderstamme
reden, bedarf wohl kaum einer Andeutung.
Geist und Geld als die beiden universellsten
Mächte erkennend, suchten sich jene Fremd-
linge der materiellen und idealen Hebel zu
bemächtigen, durch welche die Welt, sobald
nur ein fester Punct gegeben, aus den Angeln
zu heben ist. Sie warfen sich demgemäß auf
die Börse und auf daS Zeitungölvesen. Nun
trat der ungeheuerliche Fall ein, daß Leute,
denen es verboten war, ein bürgerliches Ge»
werbe zu treiben, durch ihren gefüllten Säckel
ganze Staaten in Abhängigkeit von sich hiel»
ten, und daß Männer, denen es untersagt
war, die geringste Gerichtsstelle zu bekleiden,
oder doch nur in einer Volksschule das A-B-C
zu lehren, durch ihre Zeitungen ungehindert
zu Hunderttausenden aus dem Volke reden
konnten. Ja so weit ging diese schneidendste
aller Ironien, daß dieselben Leute öffentlich und
schwarz auf weiß auf jene Gesetze schmähen
durften, die ihnen gewisse bürgerliche Rechte
-entzogen. Auf solche Weise die Börse und die
moderne Tribüne beherrschend, wuchsen sie zu
einer Macht heran, oor welcher allmälig alle
socialen und politischen Schranken zu fallen
schienen. Erst vereinzelt, dann in geschlossenen
Massen drangen sie in die Gesellschaft ein
und eroberten sich in gewissen Schichten bald
eine dominirende Stellung. Sie wurden ton» angebend in politischen Dingen, in Sachen
der Sitte, in Wissenschaft und Kunst. Sie
saßen mit den Vätern der Stadt zu Rathe,
sie schickten Vertreter in die gesetzgebenden
Versammlungen, sie besetzten die Lehrstühle
der Hochschulen, sie bevölkerten mit ihren
Söhnen und Töchtern die Schaubühnen und
Concertsäle. Es war ihnen gelungen, dem
ganzen öffentlichen und häuslichen Leben den
Stempel ihrer nationalen Eigenart aufzu-
drücken. Gerade zu der Zeit, da Offen«
bach'sche Musik in Wien zum ersten Male
erklang, waren die socialen Elemente, von
denen wir eben gesprochen, durch schwunghaft
betriebenes Börsenspiel zu einer ungewöhn»
lichen Bedeutung herangewachsen. Offen-
bach erschien als der „Romantiker der Börse,",
seine Musik als der „ästhetische Oi-säit mobi-
Usr". Neben der Abenddörse vor dem Cafs
Fetz er und im Auwinkel bildete sich nun im
Carl-Theater auch eine „musikalische Börse".
Jacques Offen bach war der Mann, wel«
cher seinem Wesen und seiner Richtung nach
den ästhetischen Bedürfnissen deS Carl-Thea«
ters wunderbar entsprach. Ein deutscher Jude
von Geburt, war er, einer richtigen Witte-
rung folgend, nach Paris gegangen und hatte
dort in den Kreisen der Demimonde die viel»
seitigsten Geschmacköstudien gemacht, welche
er nachmals in den von ihm begründeten
Houssss pari8ie2n.62 erfolgreich verwerthete.
Was ihm früher von deutschem Wesen mochte
angeflogen sein, streifte er bis auf die letzte
Spur ab. Er covirte das leichtfertige Geträl»
ler deS Pariser Gassenhauers, er machte die
Sache des Cancans zu der seinigcn. Das
Geheimniß seines dortigen Erfolges hat vor
einiger Zeit ein launiges Pariser Feuilleton,
das in einer norddeutschen Zeitung stand,
ausgeplaudert. I n gewissen Pariser Kreisen,
meint dieser Feuilletonist, gefalle alles, was
„oauiulio" sei. Nigolboche eroberte sich
alle Herzen durch ihre „äanss oanaills";
Therese wiro angebetet ob ihres ^kkut
canaiils". Jene Bücher, die den meisten Ab«
satz in den Buchhandlungen haben, gehören
zur „Utsraturo oankMs". Nnd O ffenbach's
Musik, warum gefällt sie? Weil sie eine
„mu5iy.us canaillo" ist — der betreffende
Fruilletonist mag dieses Wort vertreten."
Offermann, Karl Ritter von (In du«
strieller, geb. zu Brunn in Mahren
im Jahre 1792). Der Handels wissen«
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
O'Donnel-Perényi, Volume 21
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- O'Donnel-Perényi
- Volume
- 21
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1870
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 542
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon