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Schlnfer 83 Schleifer
namen erscheint, so entspringt daraus
eine nicht geringe Verwirrung, die zu
störenden Verwechslungen Anlaß gibt.
Also Math ias Leopold, der Vater,
war Sohn eines Gastwirthes; die Eltern,
in den dürftigsten Verhältnissen, waren
gezwungen, mit ihren fĂĽnf Kindern den
Ort WildendĂĽrnbach, wo der Vater eben
eine Gastwirthschaft gehalten hatte, zu
verlassen. Sie ĂĽbersiedelten nach Wien,
wo sie noch den Rest ihrer Habe ver«
loren und der Vater, um seine Familie
zu ernähren. Taglöhnerdienfte verrichten
mußte. Unter solchen dürftigen Verhält»
uiffen wuchs der Knabe auf, der, sobald
er lesen erlernt hatte, mit unersättlicher
Begier nur immer wieder lesen und lrsen
wollte. S.'s Biograph Kaltenbrun»
ner erzählt uns rührende Züge aus
diesem Kindesleben. Im Jahre 178l.
damals zehn Jahre alt. betrat S. die
lateinische Schule, im Jahre 1785 kam
er in die 3. Classe — die sogenannte
Poetik— an welcher der berühmte St ein
lehrte. Die Fortsetzung der Studien
wurde immer schwieriger, da die Eltern
arm blieben und die jahrlich gestellten
Gesuche S.'s — deren zchn — um ein
Stipendium immer abschlägig beschieden
wurden. So nahm denn S. im August
1787 in der Kanzlei der Dominikaner
eine schlecht besoldete Schleiberstelle an.
Aber seine Kanzlei lag in der Nähe der
Nliiversttät. von seinem Fenster aus sah
er seine ehemaligen Collegen in die
Vorlesungen eilen und das stachelte des
Jünglings Gemüth, dem es unerträg'
lich erschien, in diesem Schreiberdienste
zeitlebens zu verkĂĽmmern. Damals re>
gierte der Kaiser Joseph, dort beschloĂź
S., Hilfe zu suchen. Ein geschriebenes
Bittgesuch vernichtete er, dafĂĽr memorirte
er ein solches, wie er eS dem Kaiser
mündlich vortragen wollte. Seine zwölf Zeugnisse nehmend, ging er in die Burg
— wo es ihm nicht schwer siel. in der
allgemeinen Audienz vor den Kaiser zu
kommen. Als er vor dem Monarchen
stand, brachte er seine Angelegenheit in
schlichter Rede vor. erzählte, wie er seit
fĂĽnf Jahren jedes Semester vergebens
um ein Stipendium bitte und nun ge»
zwungen sei. statt. waS seine Sehnsucht
sei, fortzustudiren. bei den Dominikanern
Schreiberdienste zu verrichten. Als er zu
Ende war mit dem Vortrage seines aus.
wendig gelernten Bittgesuches, rief er
mit gesenkten Knieen und nassen Augen:
„Ich bitte Euere Majestät um ein Eti-
pendium, ich muß fortstudiren oder ster«
ben". Der Kaiser, welcher die Zeugnisse,
die alle sehr gut waren, durchgesehen,
erwiederte ihm: „Ich werde cS zur Unter»
suchung geben" und wendete sich zum
Nächststehenden. Da ergriff S. in seiner
Seelenangst, die Ergebnisse der söge-
nannten Untersuchung seit fĂĽnf Jahren
kennend, den Saum vom Rocke des Kai«
sers und rief schneller: „Wo wollen's
Euere Majestät denn hingeben?" —
„Zur Studiencommission", meinte der
Monarch. — „Da bin ich ja schon ge>
wesen, da kriegen wir wieder nichts. Nun
endete Joseph lächelnd daö Gesprach
mit den Worten: „Wir wollen sehen, ob
wir nichts kriegen". Und in der That.
dieĂźmal fiel dic Sache doch anders aus.
I n acht Tagen erhielt S: den Auftrag,
sich bei dem Studienprafecten Freiherrn
van Swieten cinzufinden, und dieser
eröffnete S., daß ihm der Kaiser ein
Stipendium verliehen. S. eilte nun in
die öffentliche Audienz, wo er eben an-
kam, als der Kaiser mit einem alten
Ungar sprach. Als der Monarch den
Eintretenden von ferne ansichtig wurde,
rief er ihm bereits zu: „Nun, haben wir
was gekriegt?" Sch le i fe r wankte
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Schindler-Schmuzer, Volume 30
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Schindler-Schmuzer
- Volume
- 30
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1875
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 398
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon