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) Johann Gabriel 341 Seidl. Johann Gabriel
licb und ungemein musikalisch; die „Bi-
folien" bleiben seine beste Sammlung-,
ist seit zwei Jahren fast ganz verstummt".
WaS nun Seidl 's Stellung im deutschen
Parnaß betrifft, so werden weiter unten
in den Quellen S. 348 die Stimmen eini«
ger Literaturhistoriker oder der Kritik über»
Haupt mitgetheilt. imFolgenden aber das
Urtheil über Seid l. den Lyriker,gegeben,
in so weit sich dasselbe innerhalb des
halben Jahrhunderts, in welchem er
schuf, zu bilden Gelegenheit bot und that«
sachlich auch gebildet hat. Seidl ist sich
als Lyriker seiner vollen Kraft bewußt
und mit vollem Rechte bewußt gewesen.
Und da er seine „Eigenheit" sman ver-
gleiche „Natur und Herz" S. 250) kennt,
beharrt er aufder seiner Individualität am
meisten zusagenden Bahn, weil er darin
das Trefflichste leistet, was er selbst zu
leisten vermochte und überhaupt geleistet
werden kann. Seid l hat sich sowohl von
der romantischen, wie von der politischen
Richtung der modernen Dichterschulen
fern gehalten und man begegnet in seinen
lyrischen und episch.lyrischen Ergüssen
weder jener losen Moral und sobald be>
liebt gewordenen poetischen Liederlichkeit,
die man den Anhängern der romantischen
Schule und nicht immer mit Unrecht,
häufig zum Vorwurfe macht, noch jener
Tendenzsucht, worüber in nicht seltenen
Fällen die eigentliche Poesie verloren
ging. S. ist durch und durch eigenthüm»
lich, sittlich ohne prüde, fromm ohne Pie«
tift zu sein und auS seinen Gedichten
spricht eine seltene Tiese des Gefühls
und eine wohlthuende Ruhe. Nicht eben
bilderreich, ist ihm doch daS Bild nicht
fremd; mit innigstem Sinne für die
Schönheitender Natur ausgestattet, leiht
er demselben auch liebliche Worte und
Gedanken. Die Zeit, in der er lebte und
eben zu dichten begann, war eine Zeit der Ruhe; die Menschheit hatte sich nahe
an drei Decennien müde gekämpft, und
jeder Einzelne freute sich, am heimischen
Herde des Friedens genießen zu können.
I n dieser Zeit sang S. seine ersten Lieder.
ES begann im österreichischenDichterhaine
eben zu singen und zu klingen und S.
war eine der ersten Lerchen und so ein
erstes Lied, wenn es überdieß cin treffliches
ist, vergißt man nimmermehr. Andere
Zeiten und Sorgen sind nun gekommen,
ein entwürdigter Friede ist verhaßt, die
Poesie des Haffes, des Zornes, der Ver«
achtung ist laut geworden' um so lieber
gedenkt man jener ersten Lerchen, weil sie
an bessere Zeiten erinnern, und daher
die bleibende Anerkennung Seid l's,
mitten in neu entstandenen Dichterschulen.
Bei der in der Neuzeit auftauchenden
großen Menge von Poeten, die mehr
Mittelgut und scklechteS Zeug als Kunst«
werke schaffen, hat sich die Theilnahme
des Publicums für die Poesie sehr ver-
mindert und das Loos der Nichtbeachtung
hat auch manchen guten Dichter getroffn.
Aber irotzdem, daß Seid l einer älteren
Periode angehört, die sich überlebt zu
haben scheint — wir betonen das , scheint"
—. er ist nicht vergessen, nicht bei Seite
geschoben, seine Dichtungen werden noch
immer gern hervorgesucht, seine „Mollen",
sein „Natur und Herz" sind noch immer ein
Schmuck des Salontisches, freilich mehr
im Süden als im Norden, in welch letz-
terem Gemüthstiefe für Gefühlsduselei
gilt. Schon vor Jahren stand in der
„Halle'schen Literatur-Zeitung" die bo
rocke Behauptung: „daß alle unter dem
Namen Lyrik bisher verstandene Poesie
inhaltlos und einer so männlichen Zeit,
wie der unserigen, unwürdig sei, und, um
sie stofflich auszufüllen, Politik die beste
Materie wäre". Nun Seidl hatte es
am besten bewiesen, daß eS noch eine
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Schwarzenberg-Seidl, Volume 33
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Schwarzenberg-Seidl
- Volume
- 33
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1877
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon